Tanz

Was so tief in der menschlichen Natur wurzelt, wie die Freude am Tanzen, kann an sich nicht schlecht sein und lässt sich nicht unterdrücken. Es gilt nur dafür zu sorgen, dass sie sich in erlaubter Weise auswirkt.

Der Tanz an sich ist die Kunst, sich nach dem Takte oder dem Rhythmus einer Melodie anmutig zu bewegen. In manchen Tänzen wird die Herrschaft des Geistes über den Körper dargestellt, andere dienen als Ausdruck der Fröhlichkeit, eines Gedankens oder sind Mittel zur Gewandtheit. Sie können durch schönes Maßhalten im Schritt und in der Bewegung künstlerischen Genuss bieten.

Gemäß seiner Veranlagung für Anmut und Grazie hat das Mädchen viel mehr Talent und Neigung zum Tanzen als der Jungmann. Wie im kleinen Jungen der Hang zum Raufen und wilden Spielen steckt, in denen er Kraft und Mut zeigen kann, so in den Mädchen die Vorliebe für Reigen und Kreisspiele mit Gesang. Die Freude an der leichten rhythmischen Bewegung ist ihnen angeboren und hat bei unverdorbenen Mädchen nichts Sexuelles. Sie tanzen ja auch gerne untereinander, was bei Jungen wohl kaum vorkommt. Selbstverständlich tanzen sie später lieber mit einem männlichen Partner, weil sie sich, ihrem Wesen entsprechend, lieber führen lassen. Auch das ist noch nicht der Ausfluss von Sexuellem. Mit dem Vater, dem Bruder wird oft lieber getanzt als mit einem Fremden.

Zu allen Zeiten wurden aber manche Tänze zur Symbolik, Versinnbildung des Liebeslebens. Der Mann wirbt, das Mädchen willigt ein, und nun erfreuen sie sich in wechselseitiger Annäherung und vorübergehendem gegenseitigem Besitz. – Auch diese Symbolik kann sich im erlaubten würdigen Formen halten. Wenn dies geschieht, wie es bei vielen Familienfesten und ähnlichen Feiern der Fall ist, lässt sich gegen den Tanz nichts einwenden.

Es ist nun leicht erklärlich, dass die niederen Triebe im Menschen die erlaubten Formen der Versinnbildung des Liebeslebens zu durchbrechen und es ihren Wünschen entsprechend darzustellen suchten. So kamen und kommen Tänze auf, von denen manche noch in einwandfreier Weise getanzt werden können, aber doch die Möglichkeit bieten, dass sie der Reizung der Sinnenlust dienen, während andere keine Versinnbildung mehr sind, sondern Wirklichkeit. Statt nach einer hübschen Melodie wird nach der aufreizenden Musik afrikanischer Wilden getanzt oder nach den neuesten Schlagern der Varietes, deren meist recht gemeinen Text natürlich jeder „Gebildete“ kennen und mitsingen muss, selbst wenn er im Innersten ihm gar nicht beistimmt. An die Stelle der Bewegungsfreudigkeit tritt die Freude an der gegenseitigen Nähe und Berührung.

Wenn man sich nun wieder die ganz verschiedenartige Veranlagung von Jungen und Mädchen vor Augen führt, erkennt man leicht, wie die innere Einstellung zum Tanz bei beiden ganz verschieden sein kann. Das unverdorbene, arglose Mädchen, in dem ja der Naturtrieb schweigt, ahnt vielleicht gar nicht die schon ziemlich deutliche Symbolik mancher Tänze und tanzt sie ganz unbefangen wie jeden anderen einwandfreien Tanz. Beim Jungmann liegt aber die Sache ganz anders. In ihm ist ja die dem Mädchen angeborene Freude an der rhythmischen Bewegung gar nicht oder nur wenig vorhanden, während umgekehrt der im Mädchen schlummernde Naturtrieb bei ihm stark entwickelt ist und ihn zum Nachgeben drängt. Mehr oder weniger ihm bewusst, erstrebt der Naturtrieb alles, was die Sinnenlust reizt, und erblickt daher in vielen Tänzen eine Gelegenheit, die seinen Wünschen entgegenkommt.

Nun entscheidet es sich wieder, wie der einzelne sich dem Drängen des Naturtriebes gegenüber verhält. Edeldenkende Jungmänner werden es zu bändigen wissen und nur erlaubte Freude beim Tanzen suchen. Verdorbene aber sehen in vielen Tanzvergnügen eine willkommene Gelegenheit, um ihrer Sinnenlust nachzugeben.

Aber selbst gutgesinnten Jungmännern und Mädchen droht bei manchen modernen Tänzen Gefahr. Diese sind, wie gesagt, als Versinnbildung des Liebeslebens erdacht und gestaltet. Musik und Bewegungen sind aus diesem Geiste geboren. So kann es denn leicht kommen, dass sie ohne jede niedrige Absicht den Tanz begonnen haben, dass aber die Sinnenlust während des Tanzes durch die darauf berechneten Bewegungen und Berührungen geweckt und gesteigert wird.

Durch verschiedene Umstände können all diese Gefahren noch gewaltig gesteigert werden. Vielfach gehen die Mädchen in den aus Gedankenlosigkeit oder Eitelkeit nach der Mode gerichteten leichten Ballkleidern zum Tanz. Durch sie wird notwendig die Begierlichkeit beim jungen Mann geweckt. Durch den Genuss von Alkohol wird die ruhige Überlegung geschwächt, das Gewissen betäubt und das Blut erhitzt. Die vielfach sehr leichte und sinnliche Musik erweckt eine genusssüchtige, ausgelassene Stimmung. So sind die jungen Leute nur zu leicht geneigt, der im Tanz liegenden Symbolik sich ganz hinzugeben, sich aneinander möglichst anzuschmiegen.

Der Jungmann schließt dazu aus der schamlosen Kleidung, dem freien, aufdringlichen Benehmen auf eine entsprechende leichtsinnige Gesinnung beim Mädchen, die seinem Begehren entgegenkommt. Es drängt sich ihm die Versuchung auf, während einer Pause oder beim Nachhausegehen mit ihr allein zu sein. Da bei ihnen das ruhige Denken und die Widerstandskraft durch all die Einflüsse des Alkohols und des Tanzens wie gelähmt sind, ist nur zu leicht der Fall da. So regen viele Tänze das Verlangen nach dem, was sie versinnbilden, so gewaltig an, dass sie mit dem enden, was sie darstellen: die Tanzstunde mit Poussieren, die Tanzvergnügen mit der Unzucht.

Einige Stellen aus Schriften nicht katholischer Ärzte und Fachgelehrten, denen wohl niemand den Vorwurf der Prüderie und Weltfremdheit machen wird, mögen das Gesagte bestätigen. Manche Ausdrücke sind gemildert, Fremdwörter durch deutsche Ausdrücke ersetzt.

„Die Bedeutung fast eines jeden Tanzes ist Werben, Hofmachen, gegenseitige Annäherung und Liebkosungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechtes. Alles dieses hat nur den Zweck, geschlechtliche Erregung hervorzurufen. Es geschieht dies um so leichter, als beim Tanzen mehrere Sinnesorgane als Vermittler des Geschlechtsempfindens in Tätigkeit treten: der Tastsinn durch die in wechselseitiger Berührung stattfindende Bewegung, das Gehör durch die einschmeichelnde Musik, die naturgemäß zum Tanzen gehört, … Auch bei uns ist der Tanz der größte Kuppler im Liebesleben. Denn es gibt eine Reihe Modetänze, die einzig den Vollzug des Liebesaktes, und das in der denkbar durchsichtigsten Weise, versinnbilden. … Seinem Wesen nach ist jeder Tanz gleich. Er lässt Mann und Weib in unmittelbarer Nähe in einer Situation schwelgen, die sonst die Gesetze der modernen Etikette für unpassend und unerlaubt halten.“ Von einem Tanze, dem Tango, heißt es, dass er „wie eine heiße Seuche über die Welt fegt. Dient der gewöhnliche Tanz als Vorspiel der Liebe, so war er etwas anderes. In ihm ist nicht Sehnsucht, er ist eine Art Befriedigung, nicht Vordringen, sondern Am-Ziele-Sein. Er umschreibt ganz deutlich, wozu die Übrigen Tänze nur als Einleitung dienen.“ (Dr. med. O. F. Steuer.)

„Der Tanz ist nichts anderes als in stilisierte Rhythmik umgesetzte Erotik: Buhlen.“ (Eduard Fuchs.)

„Der Tanz bildet also die Anhäufung aller Reize auf das geschlechtliche Empfinden. … Die Nachahmung unzüchtiger Bewegungen, das Umschlingen als werbende Vorbereitung ist bei unsern allermodernsten Tänzen so offensichtlich, dass nur die absolute Naivität ganz junger Mädchen unbewusst daran vorübergeht. … Das verpfuschte Leben mancher Mädchen aus ordentlicher Familie hat auf dem Tanzboden begonnen, der mit naivster Selbstverständlichkeit betreten wurde, und dann kamen all die Mittler des Liebeslebens, Tast- und Gesichtssinn, Geruchssinn und die Gehörempfindung, einschmeichelnde Musik und schließlich, wenn man durstig und erhitzt war, die betäubende und anregende Wirkung es Alkohols, um ein junges Menschenkind bewusst und unbewusst in den Strudel der Sinnenlust hineinzureißen, aus dem es nur für wenige charaktervolle Naturen ein Emporkommen gibt.“ (Prof. Dr. W. Liepmann.)

Aus alledem geht hervor, dass ein allgemeines Urteil über die Erlaubtheit des Tanzes nicht gefällt werden kann. Es hängt in jedem Einzelfalle zunächst von der Art des Tanzes ab, dann von der Weise, wie er getanzt wird, und schließlich von der Einstellung der Tanzenden, wobei wieder berücksichtigt werden muss, dass die des Mädchens eine andere sein kann als die des Jungmannes. Es kann auch vorkommen, dass ein Mädchen bewusst oder unbewusst durch die Art des Tanzens die Sinnenlust des Jungmanns weckt.

Es ist klar, dass ein Tanz nur dann sittlich gestattet ist, wenn man bei ihm erlaubte Freuden sucht. Daher sind direkt unsittliche Tänze unbedingt verboten. Ebenso ist es nicht erlaubt, sich an Tanzvergnügen zu beteiligen, von denen man weiß, dass auf ihnen in unsittlicher Weise getanzt wird, oder die nur das Vorspiel sind von unsittlichen Ausschweifungen. Jeder Jungmann, der auf seine Ehre hält, bedankt sich für solche Gesellschaft. – Bei an sich erlaubten Tänzen musst du bewusst alles meiden, was die Sinnenlust wecken könnte. Dazu gehört auch Mäßigkeit im Alkoholgenuss. Sollte wider Willen sich die Sinnenlust regen, so darfst du ihr nicht nachgeben, an ihr dich nicht ergötzen. – Du musst lernen, bei solchen Gelegenheiten dich in erlaubter Weise köstlich zu amüsieren, ohne gemeine Gedanken oder den Wunsch, einem Mädchen in ungehöriger Weise nahezutreten, überhaupt aufkommen zu lassen.

Es ist Pflicht der Eltern, beim Tanz und auf dem Heimweg für genügende Aufsicht zu sorgen. Nur solche Jungmänner, die sich durch sie in ihren leichtsinnigen oder unsittlichen Absichten behindert fühlen, empfinden diese als lästig und suchen sie zu verhindern. Ein edler Jungmann freut sich, dass durch die Anwesenheit von Autoritätspersonen die Bürgschaft besteht, dass das ganze Tanzvergnügen sich in ehrbaren Grenzen hält. Ebenso findet er es als selbstverständlich, dass beim Heimgang die Möglichkeit von Ungehörigkeiten ausgeschaltet wird. Das Bestreben mancher Jungmänner, allein ein Mädchen zu begleiten, hat nur zu oft in dem Bestreben seinen Grund, sich dann allerhand Freiheiten oder noch schlimmeres herauszunehmen. Sollte es sich aber einmal nicht umgehen lassen, dass du allein ein Mädchen heimbegleitest, so setze deinen Stolz darin, zu beweisen, dass man dir ein Mädchen anvertrauen darf, ohne das geringste für sie befürchten zu müssen. Gerade in solchen Fällen offenbart sich der sittliche Wert eines jungen Mannes.

Quelle: „Du und Sie“ – Hardy Schilgen S. J. – 19315


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