Jungfräulichkeit Teil 2 von 3

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3. Geistige Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit

Aus dem Gedanken des heiligen Augustin, dass auch die Jungfräulichen in einer Ehe leben, ergibt sich die Folgerung: die Jungfräulichkeit muss fruchtbar sein. Denn die Fruchtbarkeit ist Hauptzweck jeder Ehe. Oberflächliche Christen denken freilich nicht daran. Sie räumen der Jungfräulichkeit eine gewisse Schönheit ein, aber Fruchtbarkeit, nein; nach ihrer Ansicht ist das Jungfräulichsein doch eine Verkümmerung, eine Halbheit, jedenfalls nicht das Ideal; der blütenbesäte Baum im Frühling ist schön, aber das Ideal ist doch der früchtebehangene Baum im Herbst. Und doch bleibt es wahr: die echte Jungfräulichkeit hat reiche Fruchtbarkeit. Manche Früchte muss auch ein flüchtiger Blick sehen: die Dienste der jungfräulichen barmherzigen Schwester an armen Kranken, die Hilfsarbeit, welche zahlreiche jungfräuliche Lehrerinnen den Eltern leisten in der Fortbildung ihrer Kinder, die Schätze von Kunst und Wissenschaft, die während Jahrhunderten von den Mönchen gesammelt und für die Menschheit gerettet wurden. Aber das natürliche Auge sieht nur den geringsten Teil der jungfräulichen Fruchtbarkeit. Erst das Glaubensauge gewahrt die Fluten übernatürlichen Lebens, die aus Christi durchbohrter Seite entspringend durch die jungfräulichen Menschen in Millionen Seelen geleitet werden. Wie aus der Ehe der natürliche Lebensstrom fließt, so aus der Jungfräulichkeit der Gnadenstrom. Eheleute erzeugen und erziehen leibliche Kinder; jungfräuliche Menschen haben und erziehen geistliche Kinder.

Man denke doch ans jungfräuliche Priestertum! Mancherorts heißt man die Primiz des jungfräulichen Priesters Hochzeit. Ein schöner Name, aus dem Glaubensgedanken stammend, dass die Seele des neugeweihten jungen Mannes eine geistliche Ehe mit dem Heiland schließt, um durch die von Christus ausgehende Gnade Gotteskinder zu erzeugen und heranzubilden. Und auf wie viele Hunderte oder Tausende kann so mancher katholische Priester mit väterlichem Blick schauen und sprechen wie St. Paulus: Ich bin euer Vater, „denn ich habe euch in Christus Jesus durch das Evangelium gezeugt“;1 ich habe euch in der heiligen Taufe das übernatürliche Leben gegeben; ich habe dieses Leben am Altar, in Schule und Beichtstuhl, auf der Kanzel und im Vereinssaal, durch Gebet und Wort, durch Arbeit und Leiden gepflegt; ich habe euch herangezogen bis „zur vollen Mannhaftigkeit, zur vollen Reife des Mannesalters Christi“.2 Wahrlich, der katholische Priester hat Familie, eine Großfamilie, das gesamte katholische Volk! Der jungfräuliche Priester ist nicht unfruchtbar! Darum wird er mit Recht Vater genannt, geistlicher Vater. – Ähnliches gilt von den jungfräulichen Ordensleuten, auch wenn sie nicht Priester sind, auch von den Ordensfrauen, und zwar nicht nur von den unmittelbar in der Jugenderziehung oder in Werken der Liebe tätigen, sondern auch von jenen, welche weltflüchtig in Zurückgezogenheit beten und büßen. Sie alle leben „für den Herrn und seine Sache“. Die Karmelitin z. B., die, nur auf eigene Heiligung bedacht, der Kinder des Volkes, der armen Sünder, der Ungläubigen und Irrgläubigen, der ganzen Kirche Gottes und ihrer Hirten und Schäflein vergäße, sie wäre keine wahre Ordensfrau. Das Ziel auch der beschaulichen Orden ist Seelsorghilfe, Befruchtung der priesterlichen Arbeit am Seelenheil. Sie leiten durch die gewaltige Kraft des Gebetes und Opfers den Strom übernatürlichen Lichtes, übernatürlicher Kraft und übernatürlichen Lebens hinein in die Menschenherzen. So werden auch diese verborgenen Seelen fruchtbar, Spenderinnen und Pflegerinnen geistlichen Lebens; und der Gerichtstag wird enthüllen, wie ungeheuer groß die Zahl ihrer geistlichen Kinder ist. Darum erhalten auch sie vom gläubigen Volk mit Recht den Ehrentitel: Mütter. – Und welchen Segen stiften so viele jungfräuliche Seelen, die mitten in der Welt leben, durch ihr selbstloses Arbeiten im Dienste der Familie, in der Säuglingspflege, in Kinderbewahranstalten, in der Krankenpflege und in allen übrigen Belangen der Charitas! Sind sie eigentlich nicht auch Hilfskräfte der Seelsorge? Selbst wenn sie nicht unmittelbar durch Wort und Beispiel und Gebet am Seelenheil des Volkes arbeiteten, ist nicht jede Art von Charitas im Grunde doch seelsorglicher Natur? Eine Nachahmung der Seelsorgearbeit des Herrn, der leibliche und irdische Wohltaten spendete, um die Seelen für geistliche und himmlische vorzubereiten? So werden auch diese apostolisch gesinnten Seelen geistlicherweise Väter und Mütter.

4. Leibliche Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit

Indes ein Mangel haftet doch an der Jungfräulichkeit. Sie hat nicht leibliche Fruchtbarkeit. Das Vollkommene schiene doch die Vereinigung von beiden: natürliches und übernatürliches Leben spenden, leibliche und geistliche Kinder besitzen! – Gewiss, das wäre das volle Ideal; aber das ist mit dem Paradiese versunken. Wäre die Menschheit nicht gefallen, dann hätten die Eltern mit dem leiblichen Leben ihren Kindern auch das geistliche oder Gnadenleben mitgeteilt; sie wären Eltern und Priester zugleich gewesen, leibliche Väter und Mütter und geistliche Väter und Mütter. Die Paradiesesehe wäre das Vollkommene, und für die Jungfräulichkeit wäre in jenem seligen Zustand kein Platz gewesen.3 Nach dem großen Menschenunglück aber ist dieses höchste Ideal unerreichbar; nur einmal ist es in höherer Weise verwirklicht worden; in der jungfräulichen Ehe Marias und Josefs, aus der „Jesus stammt, der genannt wird Christus, voll der Gnade und Wahrheit“.

Aber wenn auch das volle Ideal nicht erreichbar ist, käme ihm die Priesterehe nicht näher als der Stand der Jungfräulichkeit? Der priesterliche Vater könntet doch seinen leiblichen Kindern auch das geistliche Leben spenden und mehren! – Ja wenn beides vereinigt werden könnte, ohne dass das Wichtigere Schaden litte! Wenn mit dem Strom des natürlichen Lebens auch der Gnadenstrom verbunden werden könnte, ohne dass dessen Wasser eingeengt würden oder sich verminderten! Das ist aber im gegenwärtigen Zustand nicht möglich. Zunächst beachte man, dass jetzt die Eltern ihren Kindern mit dem leiblichen Leben das Gnadenleben nicht nur nicht vermitteln, sondern das schreckliche Gegenteil, die Erbschuld. Durch die Fortpflanzung geht ja, wie uns der Glaube lehrt, die Erbsünde auf alle Adamskinder über;4 auch heiliger Eltern Kinder erhalten darum sofort bei ihrem Werden dieses unselige Erbe. Außerdem ist des gefallenen Menschen Geist beschränkt und dessen Herz mit ungesundem Egoismus behaftet; er verliert daher in der Ehe fast notwendig den ganz freien, unbefangenen Blick für die große Gottesfamilie und den vollen Schwung für „Christus und seine Sache“; mit anderen Worten, die volle Hingabe an Gott, die doch jeder Priester besitzen muss. Der heilige Apostel Paulus spricht diese Tatsache aus: „Wer verheiratet ist, der ist um weltliche Dinge besorgt, wie er der Frau gefalle. So ist er geteilt. Und die Verheiratete ist besorgt um Irdisches, wie sie dem Mann gefalle.“5 Gewiss, heilige Eheleute werden das innere Geteiltsein des Herzens vermeiden, weil sie überall und in allem Gott sehen und lieben; aber das äußere Geteiltsein ist auch für sie unvermeidlich, weil sie ihre Zeit und Kraft, ihre Arbeit und Mühe vor allem der eigenen Familie schenken müssen, und daher nicht ganz frei sind für das Volk Gottes. Diese Freiheit muss aber das Priestertum besitzen: nicht bloß die Liebe des Priesters, auch die Zeit des Priesters, die Kraft des Priesters, die Gesundheit des Priesters, sogar des Priesters Vermögen und Haus darf nicht eingeengt werden auf eine kleine Familie, sondern muss frei dienen können der großen Gottesfamilie des christlichen Volkes. Darum hat die Kirche von Anfang schon ihr Priestertum zur Jungfräulichkeit geführt, und es geschieht lediglich im Zwang der Not, um größere Übel zu verhüten, wenn sie bei orientalischen Riten die Priesterehe noch duldet.

Übrigens hat der Zölibat des katholischen Priestertums und die Pflege der Jungfräulichkeit in einem gewissen Sinn auch den Segen leiblicher Fruchtbarkeit. Man frage die Erfahrung! In welchen Volkskreisen sind die Ehen fruchtbarer? In außerkatholischen oder in katholischen ? Wo findet man kinderreichere Familien? In Gegenden mit zahlreichen Priester- und Ordensberufen oder in Volksschichten, aus welchen selten ein gottgeweihtes Menschenkind hervorgeht? Das Beispiel der Jungfräulichkeit und der Gnadensegen der Jungfräulichkeit wirkt eben unwillkürlich reinigend, erhebend und vergeistigend auf die Ehe, und darum wird sie nicht um den gottgewollten Kindersegen gebracht. Und was sagt denn ein Blick in die Geschichte? Wer hat denn der Ehe ihre Würde gerettet, das Diadem des Sakraments und die Sicherung der Unauflöslichkeit? Waren es die beweib-ten Reformer des sechzehnten Jahrhunderts? War es nicht vielmehr das katholische jungfräuliche Priestertum? O diese zwei sind eng verbunden: Fruchtbarkeit der Ehe und heilige Jungfräulichkeit!Wo die Lilie der Jungfräulichkeit blüht, da herrscht in der Ehe gesegnete Fruchtbarkeit, da „gleicht die Ehefrau der üppigen Rebe an des Hauses Wänden; da sitzen die Kinder wie Ölbaumsprossen um den Tisch herum“.6 Und wo die Ehe heilig gehalten wird, wo man das Apostelwort erfasst hat: „die Verheirateten sollen leben als wären sie nicht verheiratet“,7 da findet man auch Verständnis für das andere Wort, womit der Apostel allen Christen Hochschätzung der Jungfräulichkeit empfiehlt: „ich wollte, dass alle Menschen lebten wie ich“,8 da gedeihen unter elterlicher Pflege die Priester- und Jungfräulichkeits-Berufe.

So dient schließlich auch die Jungfräulichkeit dem Kinde: vor allem seinem geistlichen Werden und Gedeihen, aber auch seiner Leiblichkeit. Wo das jungfräuliche Priestertum blüht, wo die jungfräuliche Ehe Marias und Josefs mit der jungfräulichen Frucht, dem Jesuskind, als höchstes Ideal seine Wirksamkeit entfaltet auf Unvermählte und Vermählte, da regiert der Geist und nicht das Fleisch, da wird wahr, was der heilige Thomas von der christlichen Ehe sagt, sie sei an erster Stelle eine Vereinigung der Seelen, da werden die Eheleute in Heiligkeit „herangebildet zur Ausübung ihres Amtes, zum Aufbau des Leibes Christi“, dessen vorzügliche Glieder jungfräuliche Seelen sind „Apostel und Propheten und Verkündiger des Evangeliums und Hirten und Lehrer“.9 Wäre das nicht die beste Veredlung der menschlichen Rasse?

11 Kor. 4, 15. – 2Ephes. 4, 13. – 3Hl. Thomas I. 98 a. 2 ad 3 – 4Konzil von Trient. VI cp. 3 – 51 Kor. 7, 33 f. – 6Ps. 127. – 71 Kor. 7, 29. – 81 Kor. 7, 7; Röm. Katech. II. 8, 1 – 9Ephes. 4, 11 f.

Quelle: Michael Gatterer S. J. – Aus des Verfassers Schrift: „Im Glaubenslicht“ –
Chri
stliche Gedanken über das Geschlechtsleben – 19314.

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