Die christliche Sittsamkeit – Teil 2/6 – Regeln der Moral beim Gebrauch der Kleidung

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Versuchen wir jetzt, die moralischen Regeln anzugeben, die es beim Bekleiden zu beachten gilt.
Der heilige Thomas von Aquin beweist, dass die Sittsamkeit, die von dieser Frage betroffen ist,
eine Nebentugend der Mäßigkeit ist: Sie gibt das rechte Maß an, das es einzuhalten gilt. Wie alle moralischen Tugenden steht die Sittsamkeit auf dem schmalen Grat, der sich zwischen einem Laster im Sinne eines Exzesses und einem Laster im Sinne eines Mangels ansiedelt. In christlichen Zeiten war es recht einfach,
das rechte Maß zu erkennen und sich auf diesem Grat zu halten: Es reichte, den Gebräuchen der Vorfahren zu folgen, die je nach Gegend und gemäß den Umständen die Kleiderform und ihre Ausschmückung bestimmten. Heute sind diese Gebräuche praktisch verschwunden, und deshalb muss man Richtlinien geben. Wir wollen das rechte Maß suchen, das es einzuhalten gilt, sowie die möglichen Sünden aufzeigen,
die sich dagegenstellen.

 

II.1 Was die Schutzfunktion betrifft

Was die Schutzfunktion betrifft, so besteht das rechte Maß darin, entsprechend dem Klima, dem Wetter
und der auszuführenden Arbeit geeignete Kleider auszuwählen. Das ist kein besonders
kompliziertes Moralproblem.

Man kann gegen die Klugheit sündigen, wenn man nicht für seine Gesundheit Sorge trägt.

Man kann auch durch einen Mangel an Abtötungsgeist, d. h. gegen die Tugend der Mäßigkeit sündigen.
Das ist heute der Fall, wo viele Leute ihren Komfort begünstigen, und das zum Schaden der zwei anderen Ziele der Kleidung. Das heißt, es kümmert sie nicht, ob sie, wenn sie sich leicht kleiden, weil es ihnen heiß ist, dem Nächsten Anlass zur Sünde geben. Papst Pius XII. sagte in einer Ansprache an Mädchen in Rom:

„Das Wohl der Seele unseres Nächsten müssen wir dem Wohlergehen unseres eigenen Leibes vorziehen.
Seht Ihr also nicht, dass es eine Grenze gibt, die von keinem Einfall der Mode überschritten werden darf,
weil sonst die Mode zum Verderben für die eigene Seele und für die der anderen wird?“

Oder sie suchen sich bequeme, aber hässliche Kleidung aus. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit blicken lassen, kümmert es sie nicht, ob ihr Aufzug die Augen ihres Nächsten beleidigt.

Man sündigt auch gegen den Geist der Abtötung, indem man keine hohen Kosten scheut, um auch
noch den geringsten, durch das Klima bedingten Leiden auszuweichen.

 

II.2 Was die Schamhaftigkeit betrifft

Nun kommen wir auf die Schamhaftigkeit in der Bekleidung zu sprechen, die uns länger beschäftigen wird.1

 

II.2.1 Das wahre christliche Maß

In diesem Bereich wird uns das Maß normalerweise von den lokalen Gebräuchen überliefert, soweit sie ehrsam und anständig sind, was heute im Abendland nicht mehr der Fall ist. Aber Vorsicht: Für einen Christen genügt es nicht, sich nur nach der Vernunft zu richten. Wir sind auf ein übernatürliches Ziel, auf eine viel höhere Vollkommenheit als der Rest der Menschen hingeordnet. Wer nach der Erbsünde alles gebrauchen will, was erlaubt ist, fällt schließlich in das Verbotene; denn dazu drängen die exzessiven Instinkte der verletzten Natur. Die Natur braucht eine Bremse. Der Christ muss seinen Körper in Knechtschaft bringen, wie der heilige Paulus sagt. Mit einem Wort, die Art und Weise eines Christen, sich zu kleiden, muss sich von der Bekleidungsweise anderer, selbst vernünftiger Menschen unterscheiden.

Welches waren die christlichen Bekleidungsbräuche? Man braucht da nicht lange zu suchen. Schauen Sie, wie die Leute Ihrer Gegend sich noch vor einem Jahrhundert anzogen. Man könnte auch als Beispiel auf die Kleidung der Kinder aus Fatima im Jahre 1917 hinweisen. Sie entspricht mehr oder weniger dem Brauch aller vorherigen christlichen Jahrhunderte. Das heißt, die Kleidung bedeckte alle Körperteile außer den Händen, dem Gesicht, den Beinen bis zu den Fersen und den Füßen. Das galt für Männer und Frauen und war bereits zur Zeit der Römer so. Die männliche Bekleidung war höchstens kürzer, um sich den Außenarbeiten anzupassen.

 

II.2.2 Die Grundsätze der Schamhaftigkeit

Das Prinzip besteht darin, die Körperform so zu verhüllen, dass sie nicht die Blicke auf sich zieht. Wir stehen damit im vollen Gegensatz zur modernen Mode, die im Gegenteil alles darauf anlegt, um die Körperlinien hervorzuheben. Das will jedoch nicht heißen, dass die Kleidung vernachlässigt und abstoßend sein soll. Ganz und gar nicht! Im Übrigen hat die Mode vielmehr den Weg der Verarmung eingeschlagen.

Halten wir fest, dass es der natürlichen Ordnung entgegengesetzt ist, Gesicht und Hände zu verbergen: Beide bringen die Persönlichkeit und die Gefühle zum Ausdruck. Sie sind ein Kommunikationsmittel unter den Menschen. Der moslemische Brauch der Burka ist naturwidrig. Sie erklärt sich ohne Zweifel mit der Zügellosigkeit der Leidenschaften dieser Ungläubigen, deren Religion sie von der heiligmachenden Gnade trennt.

Außer der Frage nach der Reinheit muss man noch einen anderen Beweggrund für die Verhüllung des Körpers hinzufügen. Wir Getaufte sind Tempel des Heiligen Geistes, der in uns wohnt, wie der heilige Paulus sagt. Wir wurden bei unserer Taufe mit heiligem Salböl Gott geweiht. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist unser Körper geheiligt und darf als solcher nicht den Blicken aller wie ein profaner Gegenstand ausgesetzt werden. Das ist ein sehr tiefgehender Grund für die christlichen Sitten, und es täte uns gut, ihn im stillen Gebet zu betrachten.

 

II.2.3 Sünden

Offensichtlich betrifft die Frage der Sittsamkeit insbesondere die weibliche Bekleidung, angesichts der Tatsache, dass Männer für die von unreinen Blicken provozierten Versuchungen empfänglicher sind als Frauen. Der heilige Thomas lehrt2, dass eine Frau, die sich derart kleidet, damit der Nächste zur Begierde verleitet wird, eine Todsünde begeht. Das gilt im Übrigen auch für einen Mann, aber in der Praxis ist das weniger der Fall.

Wenn diese Unzüchtigkeit sich aber von der Eitelkeit, der Leichtfertigkeit oder vom Wunsch herleitet, sich bemerkbar zu machen, ist das nicht immer Todsünde. Wenn eine Kleidung objektiv schamlos ist, liegt Materie zum Ärgernis für den Nächsten und somit leicht Todsünde vor. Wer sich über das Ärgernis, das man einem anderen verursacht, frech hinwegsetzt, trägt vor Gott die Verantwortung für die von dieser anderen Person begangenen Sünden.

Die Frauen und Mädchen sind sich nicht immer des Übels bewusst, das sie hervorrufen können.

„Wenn einige Christinnen eine Ahnung hätten von Versuchung und Fall, die sie bei anderen verschulden durch Kleidung und Vertraulichkeiten, denen sie in ihrem Leichtsinn so wenig Bedeutung beimessen, sie würden erschrecken vor ihrer Verantwortung!“3

Es scheint, dass selbst unter guten Katholiken (nicht nur in Deutschland) noch Fortschritte zu machen sind. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern. Man begegnet oft Jugendlichen in Shorts, sogar mit unbekleidetem Oberkörper oder auch in kurzen Ärmeln, selbst in der Kirche. Das hat es früher nicht gegeben. Was die Mädchen betrifft: Wie komm es, dass auf Wallfahrten beispielsweise ihre T-Shirts fast immer kürzere Ärmel haben als die der Männer und einen weiteren Ausschnitt? Ist ihnen wärmer als den Herren? Es ist schwer zu glauben, dass das nicht dazu dienen soll, die Blicke auf sich zu ziehen. Ich sage nicht, dass das Todsünde ist, wenn man gewisse Grenzen nicht überschreitet. Es ist aber gewiss, dass das nicht christlich ist.

 

Dom Bernard Marechaux schrieb:
„Der Mann geht durch die Frau verloren. Sie führt ihn mit der Zurschaustellung ihrer Eitelkeit ins Verderben. Sie wird ihn durch die Tugend ihrer Sittsamkeit retten: die sittliche Welt pendelt zwischen Eva und Maria.“

Im gleichen Sinne äußert sich Papst Pius XII.:
„Ein Mädchen voll Eifer kann überall ungeheur viel Gutes tun; selbst auf der Straße, wenn sie mit ihrer Kleidung und ihrem Verhlaten lehrt, was Sittsamkeit und Schamhaftigkeit sind, die sicher nie im Gegensatz zur authentischen Einfachheit, der wahrhaften Anmut und dem feinen Benehmen gestanden haben.4

 

1Papst Pius XII, Ansprache Viva gioia è per noi vom 22. Mai 1941 in: Utz, Groner,
Soziale Summe Pius XII., Bd. I, Nr. 1430.

2 S. Th. II – II 169, 2

3 Papst Pius XII., Ansprache Vive gioia è per noi vom 22. Mai 1941 in: Utz, Groner,
Soziale Summe Pius XII., Bd. I, Nr. 1432.

4 Papst Pius XII., Ansprache an eine Gruppe spanischer Mädchen der katholischen Aktion, 9. April 1956.

 

Quelle: Pater Raymond OP – dreiteilige Predigtreihe – 2010

Broschüre bestellen: https://verlag.liliendesfeldes.at/produkt/die-christliche-sittsamkeit/

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