Die christliche Sittsamkeit – Teil 1/6 – Die Kleidung

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Die Frau sah, dass die Früchte des Baumes köstlich munden müssten, einen lieblichen Anblick darboten und es begehrenswert wäre, durch sie einsichtig zu werden. Und sie nahm von seiner Frucht und sie aß. Und sie gab davon auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf,
und sie merkten, dass sie nackt waren. Sie flochten Blätter vom Feigenbaum zusammen
und machten sich Schürzen. (Gn 3,6-7)

 I. Die Rolle der Kleidung

Stellen wir uns zunächst die Frage, welche Funktion die Kleidung hat. Man kann drei angeben:
Sie ist ein Schutz vor Verletzungen und gegen Witterungseinflüsse; sie ist ein Mittel gegen die Sinnenlust;
sie spielt eine soziale Rolle.

I.1 Ein physischer Schutz – Die Kleidung soll schützen.

Die Bekleidung ist zuerst ein körperlicher Schutz. Als Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben worden waren und im Schweiße ihres Angesichts arbeiten mussten, wurde die Bekleidung nicht nur notwendig,
um ihre Körper zu verhüllen, sondern auch, um ihre Glieder vor der Kälte des Winters,
der heißen Sonne im Sommer und vor Verletzungen zu schützen.

Die Tiere haben ein Fell, Federn oder Schuppen. Der Mensch kann sich dank seines Verstandes
seine Kleider selber herstellen. Man trägt beispielsweise Handschuhe für gewisse Arbeiten,
die die Hände verletzen würden. Man bedeckt sich mit einer Mütze und einem Schal im Winter usw.

Die erste Aufgabe der Bekleidung ist klar und bereitet keine besonderen Schwierigkeiten.

 

I.2 Ein Mittel gegen die Sinnenlust –
Die Kleidung soll verhüllen

Ihre zweite Rolle besteht darin, unseren Körper zu verhüllen, aus Furcht, die Begierlichkeit zu wecken. Instinktiv haben unsere Stammeltern gleich nach ihrer Sünde eine Zerrüttung ihrer inneren Seelenvermögen gespürt, die bis dahin, dank der Gabe der Urstands – Gerechtigkeit, vollkommen miteinander harmonierten. Von nun an lehnt sich ihre sinnliche Begierde gegen die rechte Vernunft und den Willen auf: Sie verleitet
diese mit Heftigkeit zur ungeordneten Freude. Man muss also die Körperteile verhüllen, die diese Begierde erregen, und zwar so, dass sie selbst bedeckt nicht in Erscheinung treten. Die christliche Tradition hat
bis zum 20. Jahrhundert immer darüber gewacht. Bei den Heiden, selbst in den Gegenden, wo die Umwelt keinen besonderen Schutz erfordert, ist der Mensch wenigstens zu einem Minimum bekleidet.

Die Wunden der Erbsünde haben wir alle geerbt, und sie bleiben selbst nach der Taufe bestehen,
wenn man auch durch die Gnade besondere Hilfen hat. Diese Funktion der Bekleidung verachten,
heißt dem Irrtum des Naturalismus auf den Leim zu gehen, der behauptet, dass die Natur gut sei,
da sie ja von Gott erschaffen wurde, was richtig ist, und dass sie nichts zu verbergen habe, was falsch ist.
Nicht der Körper ist schlecht: Das Laster kommt von unseren bösen Neigungen. Wir erklären das gleich.

 

I.3 Eine gesellschaftliche Rolle –
Die Kleidung soll schmücken, kennzeichnen.

Die dritte Funktion schließlich betrifft unsere sozialen Beziehungen. Die Kleidung ist
das Erkennungszeichen dessen, was man ist und Ausdruck der Ehrerweisung, die man für die anderen hat.

Sie ist ein Zierwerk, ein Schmuck, der die sozialen Beziehungen angenehmer macht und natürliche Fehler verbergen kann. Sie ist auch ein Zeichen, das erlaubt, das Geschlecht, die geografische Herkunft, den sozialen Stand oder die gesellschaftliche Rolle, die man innehat, zu erkennen. Das ist die Aufgabe der Dienstkleidung. Die kirchlichen Würdenträger tragen ein Gewand, das eine gewisse Strenge, ihren Verzicht auf die Welt, zum Ausdruck bringt. Die Postangestellten lassen sich als solche an ihrer Uniform erkennen.
Vor allem in der Vergangenheit erkannte man den sozialen Stand der Leute anhand ihrer mehr oder weniger reichen, mehr oder weniger schmuckvollen Kleidung.

Es ist durchaus normal, dass Könige wertvollere Kleider und mit Edelsteinen besetzte Kronen tragen,
dass ihr öffentliches Leben von einer imposanten Etikette begleitet ist: Auf diese Weise wird ihr Amt geehrt. Gleiches gilt für den Papst: Er ist der Stellvertreter des ewigen Königs aller Nationen auf Erden,
des obersten Richters. Es ist normal, dass seine Kleidung sehr geschmückt ist.

Schließlich wird in derselben sozialen Gruppe die Kleidung mit Abzeichen versehen,
die den erhaltenen Grad in einer Hierarchie zu erkennen geben: Im Militärwesen sind das die Litzen.

I.4 Hierarchie zwischen den drei Funktionen

Vom moralischen Standpunkt aus gesehen sind diese drei Funktionen der Kleidung,
gemäß dem Grad ihrer Wichtigkeit, hierarchisiert.

Die wichtigste von ihnen angesichts des aktuellen Zustandes der Menschheit ist die Körperverhüllung.
Wenn man gegen dieses Prinzip verstößt, kann der Nächste viele Sünden begehen. Ein solcher Verstoß bietet Anlass zu Ärgernis und Verdammnis. Der heilige König David beging einen Ehebruch und einen Mord,
weil er Batseba in einem unschicklichen Aufzug vor sich sah. Man muss also über diese erste Rolle
der Kleidung wachen. Dann folgt die gesellschaftliche Funktion. Sie ist auch wichtig, insofern sie ein Widerschein der Hierarchie, der geschuldeten Ordnung ist. An letzter Stelle kommt die Schutzfunktion,
die wichtig ist, um die individuelle Gesundheit des Leibes zu bewahren.

Quelle: Pater Raymond OP – dreiteilige Predigtreihe – 2010

Broschüre bestellen: https://verlag.liliendesfeldes.at/produkt/die-christliche-sittsamkeit/

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