Die wahre Sonntagsfeier besteht darin, dass man den Tag des Herrn im Geist der Kirche feiert. Als Gebot hat nun zwar die hl. Kirche bloß befohlen, an den Sonn- und Feiertagen außer der Arbeitsruhe noch die hl. Messe anzuhören. Das ist aber das Mindeste und Äußerste, was sie verlangt und unter schwerer Sünde vorschreibt. Ihr Herzenswunsch geht weiter, und sie erwartet von ihren Kindern mehr. Und was denn?
1. Der treue Sohn nimmt es zunächst mit der Anhörung der hl. Messe
am Sonntag sehr gewissenhaft.
Er wohnt mit möglichster Sammlung, Ehrerbietigkeit und Andacht dem erhabenen Opfer des
Neuen Bundes bei; die hl. Messe ist ihm die göttliche Gnadensonne, die ihm an diesem Tag aufgeht,
ihn erleuchtet und erwärmt und ihm Leben und Fruchtbarkeit mitteilt. Sie ist ihm das vornehmste und gesegnetste Werk des Sonntags.
Kaiser Napoleon 1. war in den ersten Jahren seiner Gefangenschaft ohne Priester und jedes religiösen Beistandes beraubt, und er empfand dies sehr schmerzlich. „Was beabsichtigen denn meine Feinde,“ sagte er, „indem sie mich der religiösen Tröstungen berauben? Hatten sie mich für ein wildes Tier und wollen sie mich als solches behandeln?“ Erst im September 1819 kamen auf seine wiederholten dringenden Bitten zwei katholische Geistliche nach St. Helena, was ihm große Freude machte. „Endlich“, rief er aus, „werden wir am Sonntag die hl. Messe haben. Wieder Gottesdienst sehen, heißt sein Vaterland wiedersehen.“ Ein schönes Wort!
In der ersten christlichen Zeit sprach der hl. Felix von Aluta vor dem heidnischen Kaiser: „Ein Christ kann nicht ohne die hl. Messe sein.“ Der gleiche Lebensgrundsatz leitet noch immer den heilsbeflissenen Christen; er denkt und spricht: Ein Christ kann am Sonntag nicht ohne die hl. Messe sein. Und so denkt und handelt auch die christliche Familie. Wie einst die hl. Familie, Maria und Joseph mit dem Jesukind, nach Jerusalem zum Tempel pilgerten, so zieht am Sonntag die christliche Familie zur Kirche, am schönsten gemeinsam. Wenn dies der häuslichen Geschäfte, der Dienstboten oder Kinder wegen nicht tunlich ist,
so verteilt man sich, so gut es geht.
2. Der eifrige Christ wohnt am Sonntag womöglich dem Gottesdienst seiner Pfarrei bei.
Wenngleich dem Kirchengebot genüge geschieht, falls überhaupt die hl. Messe gehört wird, so ist es doch geziemend, auch beim pfarrlichen Gottesdienst nicht zu fehlen. Der kirchliche Sinn und der Wunsch
der hl. Kirche legen dies jedem Katholiken nahe. Es liegt das auch im Interesse der Pfarrgemeinde,
weil das so notwendige Bewusstsein der Zusammengehörigkeit durch nichts in so wirksamer, segenbringender Weise wach erhalten und gekräftigt wird, wie durch den gemeinsamen Gottesdienst, besonders durch
die gemeinschaftliche Opferfeier. Zudem wird das hl. Messopfer in der Pfarrkirche an allen Sonn- und Feiertagen für die ganze Gemeinde dargebracht. Es ist also nur billig, dass jene bei der Feier desselben
nicht fehlen, für die es dargebracht wird.
3. Der eifrige Christ schließt auch die Predigt oder Christenlehre in seine Sonntagsheiligung ein.
Wie hoch die Kirche das geschriebene Wort Gottes achtet, zeigen die Zeremonien bei der Lesung des Evangeliums im Hochamt. Das Volk steht auf, die Diener bringen Lichter, kniend betet der Diakon: „Reinige mein Herz und meine Lippen, damit ich deine frohe Botschaft würdig zu verkündigen vermöge.“ Er ehrt das Evangelienbuch, worin Gottes Wort enthalten ist, durch den Weihrauch und reicht es dem Priester zum Kuss. Fast das ganze Messbuch und Brevier, fast alle liturgischen Bücher der Kirche sind zusammengestellt aus dem Inhalt des vom Hl. Geist eingegebenen Wortes Gottes.
Wir haben an früherer Stelle die Bedeutung und Segenskraft des Wortes Gottes kennen gelernt und gesehen, wie sich jeder, der sich um das Wort Gottes nicht kümmert, der Gefahr aussetzt, das Leben der Seele zu verlieren und ewig verloren zu gehen. Was die Speise für die Erhaltung unsers leiblichen Lebens ist, das ist
das Wort Gottes für das Leben unserer Seele. Wir sind hienieden Wanderer auf der großen und gefahrvollen Reise in die Ewigkeit. Wie nun ein Wanderer im Finstern, ohne Licht nicht sicher einhergehen kann und
auf Abwege geraten muss, so ist es unmöglich, auf der Wanderschaft dieses Lebens vom rechten Weg zum Himmel nicht abzulenken, wenn nicht das Licht des göttlichen Wortes unsern Lebensweg erleuchtet.
Und gesetzt auch, wir wüssten den Weg, so genügt dies noch nicht; zwischen Wissen und Wollen ist noch
ein großer Schritt. Unser Wille muss angeregt, muss durch kräftige Beweggrunde für das Gute bestimmt werden. Und das geschieht durch das lebendige Wort Gottes.
Oft teilt der Hl. Geist, wie Beissel sehr richtig bemerkt, durch einen kurzen Satz die höchste Weisheit mit,
sodass einige Worte genügen als Zehrpfennig für ein Leben. Ein kluger Ausspruch Nathans bekehrte den König David: „Du bist der Mann“. 2 Sm 12,7. Ein Ausspruch der Hl. Schrift bekehrte den hl. Augustin:
„Wie am Tag lasst uns anständig wandeln, nicht in Gastereien“, Röm 13,13, die hll. Antonius und Franziskus von Assisi: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe alles“, Mt 19, 21, und den hl. Nikolaus von Tolentino: „Wollet nicht die Welt lieb haben“, 1 Jo 2, 15. Ein Gedanke begeisterte den hl. Ignatius:
„Zur größern Ehre Gottes“, den hl. Franz Xaver: „O heiligste Dreifaltigkeit“, den hl. Aloisius: „Was nutzt
das für die Ewigkeit?“, den hl. Leonhard von Porto Maurizio: „Barmherzigkeit, mein Jesus!“
Gott hat die Predigt für Erwachsene zu einer wesentlichen Bedingung des Heiles und des christlichen Lebens gemacht. Die Predigt ist hier auf Erden so nötig wie das Licht zur Arbeit, die Sprache für die Gesellschaft,
das Saatkorn für den Acker.
Darum legt auch die hl. Kirche den Seelsorgern die strenge Pflicht auf, in ihren Gemeinden an den Sonn- und Feiertagen eifrig das Wort des Lebens zu verkünden; damit gibt sie aber auch zu erkennen, wie sehr sie es wünscht, dass die Gläubigen die Verkündigung des göttlichen Wortes heilsbegierig anhören. Und fürwahr, nur die, die geistig krank sind, können Ekel und Widerwillen am Wort Gottes finden. „Wer aus Gott ist,
der hört die Worte Gottes“. Joh 8, 47. Nun denn, so ermahnt Alban stolz in der ihm eigenen Weise, „sei kein Hund, dem es in den Ohren wehe tut, wenn es zusammenläutet, sondern geh jeden Sonn- und Feiertag in Predigt und Amt. Wie du aber im Sonntagskleid kommst, so komm auch mit einer Sonntagsseele und lass die Werktagsseele zu Haus in der Kammer oder Werkstatt und schleppe nicht das rostige Gerümpel und Unrat häuslicher und irdischer Sorgen und Bedenken in Gottes hl. Tempel.“
4. Außerdem ist es dem Willen Gottes gemäß, dass wir am Sonntag noch mehr für das Heil unserer Seele bedacht seien und den Tag des Herrn durch Werke der Gottseligkeit und der christlichen Barmherzigkeit zu heiligen suchen.
Verwickelt in die mannigfachsten zeitlichen Dinge, bedrängt von unzähligen Sorgen und Mühen, gehetzt durch die verschiedenartigsten irdischen Angelegenheiten und Beschäftigungen, bedürfen wir zuweilen heiliger Ruhe, um uns zu sammeln, um unser Inneres zu ordnen und dem großen Heilsgeschäft unserer Seele obzuliegen. Dazu sind die Tage des Herrn eingesetzt.
Dies erkennt der heilsbeflissene Christ dankbar und freudigst an. Er denkt und spricht mit dem hl. Chrysostomus: „Das schönste Fest ist ein reines Gewissen. Nicht äußeres Gedränge und Gepränge,
nicht leckere Tafeln machen das Fest, sondern die Sorge für die Seele. Wer kein reines Gewissen hat, ist beim glänzendsten Fest ohne Fest.“ Und so sorgt er an den Tagen des Herrn für den Haushalt seiner Seele,
reinigt und heiligt sein Herz durch den Empfang der hl. Sakramente, belebt wieder den Verkehr mit dem Jenseits und erfrischt sein Herz mit dem Tau der göttlichen Wahrheit und Gnade. Als treuer Sohn der Kirche benützt er eifrig die Gelegenheiten und die Mittel, die sie ihm bietet oder anempfiehlt, am Sonntag recht
gute Geschäfte für die Ewigkeit zu machen, z. B. die Beiwohnung des nachmittägigen Gottesdienstes,
die Besuchung des heiligsten Sakramentes, des hl. Kreuzweges, des Missionskreuzes oder des Gottesackers,
die Geistliche Lesung, das Rosenkranzgebet. Endlich widmet er sich auch den Werken der Leiblichen und Geistlichen Barmherzigkeit. „Ein Gottesdienst rein und makellos vor Gott und dem Vater ist dies:
die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich unbefleckt bewahren von dieser Welt.“ Jak 1, 27.
Möchten nun wir alle wohl beherzigen, dass unser Leben in geistlicher Hinsicht so beschaffen ist wie
unser Sonntagsleben. Wie nun aber unser Leben ist, so wird auch unser Sterben sein. Deshalb sagt
das Sprichwort: „Wie dein Sonntag, so dein Sterbetag.“ „Wohl kaum ein Tag, den Jesus, die Sonne
der Gerechtigkeit, schärfer am Tag des Gerichtes durchforschen und beleuchten wird,
als gerade den Sonntag“ P. Weninger.
Quelle: „Die christliche Familie“ – P. Konstanz Rudigier – 1920 – P. Cyprian Fröhlich O. Cap.