Der Elternsegen ist ein geistiges Kapital, das nie in Verlust gerät, selbst wenn die Eltern schon längst zur geweihten Erde bestattet sind; ihr Segen wirkt fort. Es sind in der Tat sehr heilsame Wirkungen, die der Elternsegen hervorbringt. Er wirkt höchst segensreich nach zwei Seiten hin:
I. Auf die Kinder.
Der Hl. Geist spricht durch den Mund des Weisen: „Des Vaters Segen festigt die Häuser der Kinder.“ Sir 3, 11. Und der hl. Ambros beteuert: „Wer von seinen Eltern gesegnet wird, ist von Gott gesegnet.“
Kürzer und schöner kann die Kraft des Elternsegens nicht ausgedrückt werden. Ebenso wahr ist es aber auch: Wer von seinen Eltern verflucht wird, ist von Gott verflucht; die Eltern sind ja Stellvertreter Gottes, und Gott bestätigt, was seine Stellvertreter auf Erden lösen und binden. Wie man nun jagt: „An Gottes Segen ist
alles gelegen“, ebenso kann man mit vollem Recht sagen: „Am Elternsegen ist alles gelegen“, weil eben
die Eltern Stellvertreter Gottes sind. Das ist ein großer Trost für die Eltern, die da wissen, das ihr wahres Glück nicht darin besteht, reiche Kinder, sondern gute Kinder zu besitzen. Doch sehen wir im einzelnen,
welch einen – heilsamen Einfluss der Elternsegen auf die Kinder ausübt:
1. Der Elternsegen flößt den Kindern eine heilige Ehrfurcht gegen ihre Eltern ein.
In einem Haus, wo gesegnet wird, achten die Kinder ihre Eltern viel mehr als in einem Haus, wo nicht gesegnet wird. Äußerlich allerdings unterscheiden sich diese Häuser so wenig, wie ein getaufter und ungetaufter Mensch; und doch ist das eine Haus vom andern gar sehr verschieden. Der Gebrauch
des täglichen Segengebens und Segenempfangens bedeutet eine gänzliche Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Segnende Eltern erscheinen ihren Kindern als Stellvertreter Gottes, als Priester des häuslichen Herdes, als Spender übernatürlicher Gaben, während nicht segnende Eltern von ihren Kindern einfach als Herren, als Wohltäter, als rein natürliche Eltern angesehen werden.
Möchten dies die christlichen Eltern wohl bedenken! Als Stellvertreter Gottes sehen euch, ihr Eltern,
eure Kinder an, wenn ihr sie segnet; über eurer Hand sehen sie eine andere, die Hand des Herrn, die euch
die Hand führt und mit seinem Segen begleitet. Priester sehen in euch die Kinder, wenn ihr ihnen die Hände auflegt; eine Art Opfer sehen sie euch darbringen, wenn ihr sie mit dem hl. Kreuz bezeichnet und
sie so vereinigt mit dem Opferlamm am Kreuz, das sich täglich in der hl. Messe für uns hinopfert.
Darum ist dem Kind das Haus, wo gesegnet wird, ehrwürdig wie ein Gotteshaus; die Worte des segnenden Vaters, der segnenden Mutter werden ihm zum Gotteswort; die Knie der Eltern, auf denen das kleine Kind täglich den Elternsegen empfängt, sind und bleiben ihm heilig wie ein Altar.
2. Der Segen der Eltern bewirkt bei den Kindern auch eine größere Selbstachtung.
Ein Ordensmann fragte einmal einen kleinen Knaben: „Mein Kind, wem gehörst du zu?“
Der liebe Kleine, der noch nie einen bärtigen Ordensmann gesehen halte, wurde etwas befangen und schwieg. Der Pater wiederholte seine Frage, erhielt jedoch wiederum keine Antwort. Er fragte zum drittenmal; da erhob der Knabe seine Hände, machte das hl. Kreuz auf Stirn, Mund und Brust und sprach andächtig die Worte: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Hl. Geistes. Amen.“ Wohl eine schöne Antwort, die gewiss der Schutzengel dem
guten Kind eingegeben hatte! Und so ist es.
Das Kreuz, womit die Eltern täglich ihre Kinder segnen, sagt jedem gesegeten Kind: Ich gehöre an
der heiligsten Dreifaltigkeit, ich bin ein Kind des himmlischen Vaters, ein Bruder, eine Schwester Jesu Christi, ein Tempel des Hl. Geistes. Wird das Kind den Tag über nicht unter dem Eindruck dieses Segens stehen? Wird ihm in der Versuchung nicht einfallen, dass die mit dem hl. Kreuz bezeichnete Stirn nicht getrübt werden darf von dem Hauch der Sünde, dass es sich für ein Kind Gottes nicht ziemt, zu lügen oder böse Reden zu führen, dass es für ein Glied am Leib Jesu, für einen lebendigen Tempel des Hl. Geistes
etwas schreckliches wäre, zu sündigen und die Unschuld zu verlieren?
Das Zeichen des Kreuzes, das die Eltern täglich ihren Kindern auf die Stirne zeichnen, wird an ihnen auch später niemals spurlos verschwinden. Wohl mag das Kind, namentlich mit zunehmendem Alter, manchmal straucheln auf dem Weg des Guten, vielleicht auch fallen, tief fallen und irre gehen: die Erinnerung an
den segnenden Vater, an die segnende Mutter wird dem Jüngling, der Jungfrau nie verloren gehen,
keine Leidenschaft wird sie vollständig zu verwischen vermögen, der Elternsegen wird sie wieder
zu Gott zurückführen.
„Das hl. Kreuzzeichen, dieses Merkmal des Heils, das die Hand der Mutter auf die Stirne ihres Sohnes zeichnet, wird durch die Macht des Lasters niemals völlig ausgelöscht werden. Es ist das Beste, was das Mutterherz dem geliebten Kind zu geben hat, ein Gebet, ein Schutz vor Gefahr und Hölle, ein wahrhaft göttliches Liebeszeichen. Kein zärtlicher Kuss, kein honigsüßes Schmeichelwort, keine Liebkosung wiegt diesen Segen auf.“ Graf de Maistre.
Christliche Mütter, übt diesen schönen, heiligen Gebrauch recht fleißig an euern Kindern schon
von der Wiege an. Nur Glück und Segen kann ihnen damit zuteil werden. Solche Eindrücke wirken
in spätern Jahren, in der Stunde der Gefahr und Versuchung kräftig nach. Und gar oft schon hat
die Erinnerung an das Kreuzzeichen der lieben Mutterhand den Sohn, die Tochter vom Abgrund zurückgerissen, in den sie sonst sicher gestürzt wären.
3. Das Segengeben ist nicht selten die Stunde der Freude, in der die Kinder
ihre heiligen Geheimnisse offenbaren.
Der Sohn, die Tochter, die in ihrem Herzen den mächtigen Ruf der Gnade zum Priester- oder Ordensstand vernehmen, können keinen traulichern, geheiligtern Augenblick finden, als diesen, ihren besorgten Eltern
endlich mitzuteilen, zu welcher Ehre sie Gott beruft.
Ein frommer Priester schreibt: „Unvergesslich ist mir das Bild, das mir meine selige Mutter an dem Abend entwarf, an dem ich als achtzehnjähriger Sohn vor meiner Berufswahl zu ihr hintrat, um ihren Segen zu empfangen. Bevor sich noch meine Lippen geöffnet hatten, laß sie in meinen Augen das Geheimnis des Opfers, das mich für das Leben zum Diener Christi machen sollte. Unter Freudentränen legte sie ihre Hände auf mein Haupt zum Vorspiel jener Handauflegung, die ich in wenigen Jahren vom Bischof erhalten sollte.“ Gewiss hat der Segen der Mutter ihren Sohn der so hohen Würde des Priestertums umso würdiger gemacht.
II. Auf die Eltern selbst.
Der Elternsegen übt auch auf die Spender den wohltätigsten Einfluss aus. Es sei in dieser Hinsicht auf drei heilsame Wirkungen hingewiesen.
1. Der Elternsegen ist das Band, das den häuslichen Herd mit dem Altar, die Familie
mit Gott verbindet. Altar und Herd, Gott und Familie dürfen nicht getrennt werden.
Ein Vater, der seine Kinder an jedem Tag segnete, ging täglich in die hl. Messe. Von seinen Kindern deshalb befragt, antwortete er: „Ich muss am Morgen bei Gott den Segen holen,
den ich euch am Abend geben werde.“ Wahrlich, dieser fromme Vater hat Recht.
Dort in der hl. Messe hat wie aller Segen so auch der Segen der Eltern seinen Ursprung.
Diese wichtige Wahrheit sollen segnende Eltern nie vergessen. Die lebendige Überzeugung davon wird sie und ihre Familie mit Gott verbinden. Oder sollte es möglich sein, dass ein Vater oder eine Mutter, die ihre Kinder täglich segnen, im Zustand der Gleichgültigkeit gegen den hinleben, dessen Stelle sie vertreten; dass sie
zu dem nicht gläubig aufblicken, den nicht lieben, dessen Liebeszeichen, das Kreuz, sie auf die Stirne seiner und ihrer Lieblinge drücken! Sollten aber wirklich Eltern, die ihre Kinder täglich segnen, nur mangelhaft glauben und ungern beten, aus Leichtsinn oder Menschenfurcht den Gottesdienst nicht mehr besuchen,
die hl. Sakramente nur lau oder gar nicht mehr empfangen: so würde und müsste sie die Gewohnheit
des Segengebens notwendig zum christlichen Sinn zurückführen.
Der geistliche Vorstand einer Knaben-Erziehungsanstalt erzählt, dass er nicht selten glaubensschwachen Vätern, die ihre Söhne in das Pensionat brachten, beim Abschied vor ihren Kindern zugerufen habe: „Mein Herr, segnen sie noch ihr Kind!“ Tränen entstürzten ihren Augen, zitternd erhoben sie ihre Hände, und wie ein Blitz durchzuckte sie die Erinnerung an den frommen Sinn ihrer eigenen Kindheit, an ihre Würde als Stellvertreter Gottes, und bald darauf knieten sie vor dem Altar des Allerhöchsten und zu den Füßen
des Beichtvaters; der Segen ward das Band, das sie wieder mit Gott vereinigte.
Auch in sittlicher Beziehung ist das Segengeben auf die Eltern selbst von größtem Einfluss. Der Segen erinnert die Eltern nicht bloß daran, dass sie als Stellvertreter Gottes Könige und Priester in ihrer Familie sind,
sondern auch, dass sie würdig dieses heilige Amt verwalten müssen; dass sie die Tugenden, die sie von ihren Kindern fordern, den Gehorsam, die Reinheit, die Mäßigkeit, selbst üben müssen. Oder wäre es möglich,
dass ein Vater den Tag über seine Hände mit Sünden entweihen kann, die des Morgens segnend
auf der Stirne seiner unschuldigen Kinder geruht haben; sollte sich der, vor dem seine Kinder ehrfurchtsvoll ihr Haupt neigen, beugen vor den Götzen der Welt, vor der Augenlust, der Fleischeslust und der Hoffart
des Lebens? sollte der Mund, der Segensworte spricht, bald darauf wieder Fluchworte
oder schmutzige Reden aussprechen können? Auf die Länge der Zeit nicht.
2. Der Elternsegen ist auch ein heiliges Band, das Vater und Mutter in ewiger Treue, in vollkommener Liebe und Eintracht miteinander verbindet.
Das Kreuzzeichen erinnert sie täglich an den vor dem Altar abgelegten, mit dem Kreuzzeichen des Priesters geheiligten Eidschwur, einander treu zu bleiben bis zum Tod. Dieses Kreuz auf der Stirne ihrer Kinder
ruft ihnen zu: „Wie könntest du zum Meineidigen, zum Treuebrecher werden! Welchen Unsegen würdest du dir aufladen: Unfriede, Unglück, Verdammnis! Entweihe nicht die durch das hl. Sakrament gesegnete Hand!“
Das Kreuz, auf die Stirne des Kindes gezeichnet, erinnert die Eheleute an die vor dem Angesicht Gottes gelobte Liebe und Eintracht; sie sollten eins sein wie das Kreuz, sie sollten wie das Kreuz fest ineinander
gefügt sein, so dass sie als ein einiges und geschlossenes Ganzes erscheinen. Dem Mann insbesondere ruft Christus durch das Kreuz gleichsam zu: „Wie ich am Kreuz die Liebe meines Herzens erschöpft habe für
die arme Menschheit, so liebe auch du deine Ehefrau, behandle sie als deine ebenbürtige Lebensgefährtin,
hab Mitleid mit ihren Schwächen, sorge für sie; du bist zwar das Haupt in der Familie, aber deine Frau
ist das Herz, darum liebe sie wie dich selbst.“
3. Der Elternsegen ist endlich das heilige Band, das Eltern und Kinder umschlingt.
Eltern, die täglich ihre Kinder mit dem hl. Kreuz bezeichnen, werden täglich daran erinnert, dass ihre Kinder wie sie selbst durch Christi Kreuz erlöst und für den Himmel bestimmt sind; sie werden infolgedessen
ihre Kinder nicht als eine Last, sondern als einen Segen betrachten, wie man denn schon im Alten Bund
vom Kindersegen sprach. Und wahrlich, Segen ist es und Segen bringt es, die Zahl der Auserwählten im Himmel zu vermehren, die Reihen der Heiligen und der Engel zu erweitern; und dies sollen ja die Kinder werden: Heilige des Himmels. Darum ruft das Kreuz, das die Eltern auf die Stirne ihrer Kinder zeichnen, ihnen zu: „Weg mit der ängstlichen Sorge, wie du all die Kinder ernähren und erziehen könnest. Gott hilft
dir deine Kinder, seine ersten Lieblinge, versorgen und beglücken. Vergreif dich nicht am Kindersegen,
wirke der göttlichen Vorsehung nicht entgegen; du würdest dich schwer gegen deinen Gott versündigen
und dir zeitliches und ewiges Verderben zuziehen.“
Und wieder ruft das Kreuz den Eltern zu: „Heilige des Himmels sollen die Kinder werden. Wohl eine schwere Aufgabe, die ihr nicht bewältigen könnt, wenn ihr sie ohne mich erzieht; aber eine süße Bürde, wenn ihr mit ihnen täglich betet. Leicht und süß ist die Kindererziehung, wenn ihr als christliche Eltern in die Schule
des Kreuzes geht, seine Lehren heilsbegierig aufnehmt und euern Kindern das Kreuz als Pilgerstab
in die Hand gebt.“ Sicher fährt, wer im Kreuze fährt.
Das ist der heilsame Einfluss, den der Elternsegen auf die Eltern selbst hervorbringt.
Wohl ein süßer, kostbarer Einfluss! Nun denn, Eltern, entzieht euren Kindern nicht das Beste,
was ihr ihnen geben könnt: euern Segen!
Quelle: „Die christliche Familie“ – P. Konstanz Rudigier – 1920 – P. Cyprian Fröhlich O. Cap.