Die Bischöfe sind nach dem Worte der Schrift vom Heiligen Geiste gesetzt, die Kirche Gottes zu leiten, für ihre Entwicklung und ihr Wachstum Sorge zu tragen. Wohl und Wehe dieser Kirche hängt aber vorwiegend ab von dem Geiste, der die Familien beherrscht. Deshalb liegt es dem Bischof gar sehr am Herzen, mit welchen Gesinnungen die Brautleute in den Ehestand treten.
Sie, mein liebes Brautpaar, sind entschlossen, nun bald diesen Schritt zu tun, und ich wünsche aus ganzer Seele, dass Ihnen wahres Glück und ewiges Heil aus Ihrer Ehe erwachsen möge. Das kann und wird trotz unserer bedrängten Zeiten der Fall sein, wenn Sie Gott vor Augen halten und Ihr Eheleben auf die richtigen Grundsätze aufbauen. Darum drängt es mich, in dieser entscheidenden Stunde Ihres Lebens ein herzliches, inniges Wort der Belehrung und Ermunterung an Sie zu richten.
Mit dem Eintritt in den Ehestand schlagen Sie wirklich ein neues Blatt auf im Buche Ihres Lebens. Nach menschlichem Ermessen wird es das letzte Blatt sein; denn aus diesem Stande heraus wird Gott Sie in die Ewigkeit abberufen. Darum möchte ich Sie herzlichst bitten, jetzt, am kommenden Sonntag, wo Sie zum ersten Male verkündigt werden, beide zu den hl. Sakramenten zu gehen und bei Ihrer Beichte einen Rückblick zu werfen auf den Lebensabschnitt, der nun hinter Ihnen liegt, und für die Zukunft die entsprechenden Vorsätze zu fassen.
Diese Generalbeichte bringt Ihnen einen guten, beruhigenden Abschluss der Vergangenheit und damit zugleich eine Seelenverfassung, in der Sie sich gut und würdig auf den Empfang des so überaus wichtigen Ehesakramentes vorbereiten können; denn nach einer solchen Generalbeichte haben Sie eine innigere Fühlung mit Gott, Sie beten treuer, leben heiliger, und das ist gerade jetzt außerordentlich wichtig für Sie. Die Wochen, die Sie jetzt verbringen, sind die bedeutsamsten Ihres ganzen Lebens, viel entscheidender noch als die Zeit von Ihrer ersten hl. Kommunion, die Sie doch einst so gut und fromm zu verleben suchten.
Machen Sie sich nur recht klar, warum die jetzige Zeit für Sie so wichtig ist. Erstens handelt es sich darum, dass Sie sich den Segen Gottes erobern für Ihr ganzes kommendes Eheleben. Reich und vielfältig ist der Segen, den die Kirche in der Liturgie des Ehesakramentes auf die Brautleute herabfleht, und doch merkt man in manchen Ehen von den Wirkungen dieses Segens so wenig. Warum? Nicht deshalb, weil der Segen eine inhaltslose Sache, bloß eine fromme Form aus vergangenen Zeiten wäre; nein, er wirkt darum nicht oder so wenig, weil er bei den Brautleuten keinen empfänglichen Boden findet. Jeder Gottessegen ist wie ein Samenkorn, das man hegen und pflegen muss, wenn es wachsen soll. Fällt das Korn auf völlig unvorbereitetes, dürres Erdreich, dann kann es keine Frucht bringen. Also gilt es für Sie, jetzt mit allem Ernst das Erdreich Ihres Herzens zu bereiten.
Zweitens ist diese Vorbereitung so wichtig, weil Sie einen entscheidenden, unwiderruflichen Schritt tun. Ein unauflösliches Band wird die Ehe um Ihre Seelen schlingen. Vor Gott und Ihrem Gewissen bleiben Sie als Gatten aneinander gebunden, bis der Tod Sie scheidet. Das ist ernst, sehr ernst, aber auch schön. Es stärkt Ihre Treue und gibt Ihnen von vornherein das wohltuende Gefühl der Sicherheit in gegenseitigem Vertrauen, in engster Zusammengehörigkeit. Sie wissen, dass nun Ihre ganze Liebe einander gehören muss, und dass es schon Bruch der Treue wäre, wenn Sie irgendwelche Beziehungen anknüpfen wollten, wie sie leider heute manche Männer mit anderen weiblichen Personen und manche Frauen mit anderen Männern unter dem Deckmantel der Freundschaft pflegen.
Drittens wird Ihnen die Bedeutung dieser vorbereitenden Wochen noch klarer, wenn Sie die Heiligkeit des Ehestandes bedenken. Der menschgewordene Gottessohn, der mit seinem göttlichen Blick die Dinge am besten und tiefsten erkannte, sah in der Ehe etwas so Großes, dass er sie zur Würde eines Sakramentes erhob, indem er sie zum Abbild seiner eigenen Verbindung mit der Kirche machte. Dieselbe schonende, opferbereite und selbstlose Liebe, die Christus zur Kirche hegte, soll der Mann für die Frau haben, und dieselbe innige, treue und willige Hingabe, mit der die Kirche an Christus hängt, soll die Frau dem Manne erweisen; darum sagt der Apostel: „Der Mann ist das Haupt der Frau, so wie Christus das Haupt der Kirche ist … Wie die Kirche Christus untertan ist, so sollen es die Frauen auch ihren Männern sein. Ihr Männer, liebet eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.“ (Eph. 5, 23 f.)
Viertens geht es aber nicht bloß um die Vorbereitung auf ein Sakrament; es geht um noch Wichtigeres. Sie müssen sich wert und würdig machen, Vater und Mutter von Kindern zu werden, sich in Ihrem Charakter, Ihrer Tugend, Ihrer ganzen Persönlichkeit so festigen, dass Sie sich ruhig sagen können: Ich kann es vor Gott und der Menschheit verantworten, das, was ich selber bin, fortzupflanzen, einem anderen Menschenwesen, und zwar meinem eigenen Kinde zu vererben.
Im Lichte dieser ernsten Gedanken verstehen Sie den hohen Zweck der Ehe. Viele meinen, sie träten nur in die Ehe, um sich ein gemütliches Heim zu schaffen, um versorgt zu sein oder um die Liebe und Neigung ihres Herzens zu befriedigen. Gewiss soll die Ehe auch diese Dinge bringen, aber ihr erster und wichtigster Zweck ist das Kind.
Das zeigt schon die Natur da draußen. Sobald die Pflanze herangewachsen und völlig entwickelt ist, verwendet sie ihre beste Kraft darauf, Blüten zu treiben und Samen zu bilden zur Fortpflanzung ihrer Art. Ähnlich soll der Mensch, der in die Ehe tritt, in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung einen Abschluss, eine gewisse Vollreife erlangt haben und nun anfangen, für ein neues, kommendes Geschlecht zu leben. Darum geht auch das natürliche Drängen und Begehren der Liebe, die Mann und Frau zusammenführt, hinaus auf jene Vereinigung, die zur Erzeugung neuen Lebens dient.
Daraus ersehen Sie, wie unnatürlich und unsittlich jene denken, die mit einer direkten Scheu vor dem Kinde in die Ehe treten, vielleicht gar mit dem ausdrücklichen Vorsatz, dem Kindersegen aus dem Wege zu gehen. Auch heute noch ist das Kind ein wirklicher Segen. Es scheint bloß zu nehmen, und doch gibt es sehr viel. Wie es schon in seiner Werdezeit vor der Geburt dem mütterlichen Blute wertvolle Lebensstoffe zuführt, so leistet es nach der Geburt für das innere Glück und den Zusammenhalt der Familie noch viel wertvollere Dienste. Eine Ehe ohne Kinder bleibt eine arme und halbe Ehe. Ich bitte Sie in Ihrem eigensten Interesse: Treten Sie von vornherein als kinderliebe Menschen in die Ehe und machen Sie sich keine Angst vor den Gefahren einer Geburt.
Fortsetzung folgt…
Quelle: „Ein Hirtenwort den Brautleuten“ in treuer Sorge um ihr Glück gewidmet vom
Erzbischof von Köln Karl Joseph Schulte 1871-1941