Die Vergebung der lässlichen Sünde außerhalb der Beichte Teil 1 von 3

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Die Betrachtung des Unrechtes und der schlimmen Folgen der lässlichen Sünde muss in jeder Seele, die beharrlich bleiben und im Guten vorankommen will, folgenden Doppelentschluss wachrufen: Erstens, ich will die lässliche Sünde und insbesondere die freiwillig begangene lässliche Sünde sorgfältig meiden; und zweitens, ich will die Fehler, in die ich trotzdem fallen werde, so schnell wie möglich wiedergutmachen. Der erste dieser beiden Entschlüsse soll verhindern, dass unser Leben zu einer ununterbrochenen Kette von Fehlern wird. Aber allein genügt er nicht. Denn mögen wir auch noch so viel Wachsamkeit und Entschlossenheit aufbieten, es wird doch immer wieder ein Zeitpunkt eintreten, wo entweder unsere Aufmerksamkeit versagen oder unsere Kraft erlahmen wird. Dann wird unser Wille, der so aufrichtig strebte, doch wieder ein Opfer der verkehrten Neigungen werden und ein Fehltritt wird geschehen sein, ehe man sich dessen recht versieht. Wir werden immer wieder sündigen, wenngleich, so Gott will, immer seltener und minder schwer. Ist das Übel aber in die Seele eingedrungen, so tut es Not, dasselbe sofort wieder hinauszuwerfen. Sofort gebüßt, schadet eine lässliche Sünde nicht; sie wirkt erst dann verheerend, wenn sie ungesühnt in der Seele fort modert.

Viele lassen es leider an dem Eifer, die lässliche Sünde schnell zu entfernen, ganz und gar fehlen, die einen aus Gleichgültigkeit, die andern aus Unwissenheit, weil sie in der Vorstellung befangen sind, als könne man dies nur durch die Beichte tun. Das ist ein Irrtum. Zur Tilgung der lässlichen Sünde gibt es gar viele Wege.
Der allgemeinste Grundsatz hinsichtlich der Vergebung der Sünde und ihrer Schuld lautet: keine Sündenschuld wird vergeben ohne Buße. Diese Buße kann aber vielerlei Art sein.

Wenn jemand sich durch einen Akt der Reue und des guten Vorsatzes ausdrücklich von einer Sünde lossagt, so nennt man das formelle und direkte Buße. Wendet er sich dagegen, ohne an seine Sünden zu denken, in erneutem Eifer, in innigerer Liebe als zuvor zu Gott hin, entschlossen, ihm in allem zu gefallen, so nennt man das indirekte Buße, denn in solcher Gesinnung liegt notwendigerweise ein gewisser Abscheu vor der Sünde eingeschlossen. Man kann sodann auch von einer virtuellen Buße, einer Buße der Tat, sprechen, wenn jemand aus wahrer Bußgesinnung gute Werke verrichtet, oder wenn er gute Werke in wahrer Bußgesinnung Gott aufopfert. Durch Beichte und priesterliche Absolution wird die persönliche Buße zum Bußsakrament.
Die Tilgung der lässlichen Sünde kann nun auf dreifachem Wege erfolgen: erstens durch direkte und formelle Buße ohne Bußsakrament, zweitens durch indirekte Buße und die Buße der Tat, gleichfalls ohne Bußsakrament, drittens durch das Sakrament der Buße.

Daraus geht hervor, dass die Beichte nur eines unter vielen Mitteln ist, die Verzeihung seiner Fehler zu erlangen und dass sie hierzu keineswegs notwendig ist. Um sich noch tiefer davon zu überzeugen, braucht man nur einen Blick auf die kirchliche Lehre aller Zeiten und die Bußpraxis der ältesten christlichen Jahrhunderte zu werfen.

Dass zur Vergebung der lässlichen Sünden das Bußsakrament in keiner Weise notwendig ist, dass es vielmehr außerhalb des Bußsakramentes zahlreiche andere Wege zur Tilgung der lässlichen Sünde gibt, ist erklärte Lehre der katholischen Kirche. Das Konzil von Trient sagt kurz und bündig: „Die lässlichen Sünden können ohne Schuld in der Beichte verschwiegen und durch viele andere Heilsmittel getilgt werden“ (Ss. XIV c. 5, de confessione). Dasselbe sagt der römische Katechismus, indem er sich derselben Worte wie das Konzil bedient (p. II. c. 2, 9. 40).

Die Definition des Konzils von Trient findet ihre Bestätigung in der Bußpraxis der ältesten Kirche und in den Schriften der Kirchenväter. In den vier ersten (nach einigen sogar in den sieben ersten) Jahrhunderten war es allgemeiner Brauch der Kirche, das Sakrament der Buße nur für Todsünden zu spenden. Da nun viele Christen jener Zeit, wenn einmal das Wasser der heiligen Taufe ihren Scheitel benetzt und die heilige Eucharistie ihre Seele mit der wunderbaren Kraft des Leibes Christi gestärkt hatte, ein Leben ohne jede Todsünde führten, so kam eine große Menge Gläubigen überhaupt nie dazu, das Bußsakrament zu empfangen. Wie wurden sie aber ihrer kleinen Sünden ledig, wenn diese nur durch die Beichte getilgt werden können? Denn ohne das Elend der täglichen Vergehen waren auch sie nicht. Der heilige Augustinus sagt ja in seinem Buche gegen die zwei Briefe der Pelagianer (I. c. 14): „Viele Gläubigen führen nach der Taufe ein Leben ohne schwere Sünde; ohne Fehler ist deswegen doch keiner in seinem Leben.“ Alle diese haben nun niemals gebeichtet; der heilige Cyprian, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus haben niemals gebeichtet. Sie kannten also andere Mittel und Wege, die Vergebung ihrer lässlichen Sünden zu erlangen. Und welches waren diese? Hören wir hierüber die Bischöfe und Hirten der alten Zeit.

Der heilige Gregor von Nazianz sagt in seinem 6. Brief über die Buße hinsichtlich der geringen Sünden der Habgier: „Da die Väter in ihren Bußbestimmungen diese Sünde übergangen haben, so erachten wir es für ausreichend, dieselbe mit dem Worte der Predigt zu heilen!“ Der heilige Augustinus sagt von den Büßenden (De Symbolo 7, 15): „Wenn ihre Sünden leichte wären, so genügte zu deren Sühne das tägliche Gebet.“ Johannes Cassianus belehrte seine Mönche (Collatio 23): Die lässlichen Sünden werden durch die tägliche Gnade Christi getilgt, die unser Herr auf unser Gebet hin für die Vergebung der Sünden jeden Augenblick zu geben gewohnt ist.“ Solchen Stellen ließe sich noch eine große Zahl gleichlautender Aussprüche anfügen.
Natürlich war den Vätern auch die Praxis unbekannt, sich durch die Beichte lässlicher Sünde auf die heilige Kommunion vorzubereiten. Augustinus hielt gewiss große Stücke darauf, dass die Gläubigen reines Herzens und, wenn möglich, auch frei von lässlicher Schuld zum Tische des Herrn traten. Dennoch erteilt er ihnen in dieser Verzeihung keinen andern Ratschlag als diesen: „Wenn ihr Sünden auf dem Gewissen habt, solange es nur keine schweren Sünden sind, tretet hinzu! Gebet aber acht, dass ihr zuvor betet: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Wenn du verzeihst, wird dir wieder verziehen werden: tritt hinzu, Brot ist’s für dich, nicht Gift.“ (Tract. 26 in Jo.)

Die Erklärung für diese Lehre der Kirche liegt im Wesen der lässlichen Sünde selber. Die lässliche Sünde schwächt zwar das übernatürliche Leben der Seele, vernichtet es aber nicht. Die heiligmachende Gnade bleibt auch nach der lässlichen Sünde in uns. Mit der heiligmachenden Gnade aber ist die Möglichkeit einer steten Rechtfertigung von innen heraus gegeben. Denn so wie der Baum einzelne leichte Quetschungen von innen heraus ausheilt und abgerissene Zweige durch steten Ausbau seiner Krone mit Leichtigkeit ersetzt, solange nur Stamm und Wurzel unversehrt sind: so kann auch der Mensch, in welchem die Wurzel alles übernatürlichen Wachstums, die heiligmachende Gnade, lebendig geblieben ist, die geringen täglichen Schädigungen, die die Seele im Kampf mit ihren Verkehrtheiten erleidet, unter Mithilfe der wirklichen Gnade von innen heraus wieder gutmachen. Aus der heiligmachenden Gnade quellen fortgesetzt übernatürliche Akte der Gottesliebe und gute verdienstvolle Werke. Diese kann dann die Seele dem beleidigten Gotte als Genugtuung für die ihm angetane Unbill aufopfern. Und da sie ja noch ein Kind Gottes ist und mit ihrer Bitte um Vergebung in ihrer erneuerten Liebe vor einen Vater hintritt, so ist kein Zweifel, dass ihre Sühne angenommen und ihre Bitte sogleich erhört wird. Deshalb hat uns der Heiland befohlen, täglich zu beten: Vergib uns unsere Schulden. Als wollte er uns sagen: täglich fehlt ihr und täglich bedürft ihr der Barmherzigkeit; aber diese Barmherzigkeit wird euch, die ihr in mir bleibt, keinen Augenblick mangeln; so bittet nur demütig und reumütig und zu jeder Stunde wird euch die Vergebung eurer Fehler zuteil.
Die Heilige Beichte ist also keinesfalls notwendig und in keiner Weise notwendig, um die Vergebung lässlicher Sünden zu erlangen. Die Kirche selber verwies und verweist die Gläubigen außer auf die Beichte noch auf andere Mittel, deren Gebrauch in mancher Hinsicht ebenso wirksam ist und die jedenfalls viel schneller und bequemer zur Hand sind. Die Gläubigen sollten diese Mittel besser kennenlernen und häufiger gebrauchen. Da deren Zahl eine sehr große ist, seien hier nur die wichtigsten derselben genannt.

Fortsetzung folgt…

Quelle: „Die Devotionsbeichte“ von P. Phillip Scharsch Obl. M. J. – 1922

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