Verantwortung vor der Geburt

„Wir wissen, dass die Anlagen der vorangegangenen Geschlechter in der einen oder andern Form in den Nachkommen wiederkehren. Diese Vererbung zeigt sich äußerlich und innerlich. Kinder gleichen den Eltern, oft aber auch dem Großvater oder der Großmutter oder einem entfernten Familienglied. Ebenso reicht die geistige Veranlagung in der Ähnlichkeit oft an zurückliegende Verwandtschaft zurück“. Ernst.

Wenn sich die Eltern dies vor Augen halten, so werden sie sich manche Charaktereigentümlichkeiten ihrer Kinder leichter erklären können. Dies gibt ihnen aber auch manche gute Winke für die Erziehung selber.
Was die unmittelbaren Eltern angeht, so fällt auf sie eine große Verantwortung schon vor der Geburt ihrer Kinder. Es ist nicht gleichgültig, wie die Eltern ihre Jugendzeit, ihren Brautstand zugebracht haben, denn erfahrungsgemäß erben die Kinder sowohl die leiblichen Eigenschaften als auch die geistigen Anlagen ihrer Eltern. „Die Auszehrigen“, schreibt Alban Stolz, „vererben gar leicht ihre Krankheit auf die Kinder. Die Seelenauszehrung, d. i. die Sündhaftigkeit, böse Neigungen und Gewohnheiten werden auch Familiensachen.“ Darum mahnt er, dass „Eltern wohl bedenken sollen, wenn sie eine Leidenschaft oder schlechte Gewohnheit in sich aufkommen lassen, dass sie dadurch nicht nur ihre eigene Seele verderben, sondern auch ihren Nachkommen zum Verderben gereichen, indem ihnen eine besondere Geneigtheit zu solchen Sünden angeboren wird, denen eines der Eltern – Vater oder Mutter – ergeben waren.“

Nicht wenig hängt davon ab, in welchem Seelenzustand sich christliche Eheleute befinden zu der Zeit, wo ihnen der liebe Gott das hohe Glück bereitet, Eltern zu werden, denn die Erfahrung spricht nur zu laut, dass Kinder, die in Stunden der Trunkenheit, der sündhaften Begier oder verbissener feindseliger Gesinnung Leben und Dasein empfangen, diese Leidenschaften mit zur Welt bringen. Nicht mit Unrecht sagt man, das Kind sei die Photographie der Eltern beim Vollzug der Ehe. So wie die Eltern in diesem Augenblick beschaffen waren, an Leib und Seele, so ungefähr wird das Kind sein. Die Eltern haben es gewissermaßen in ihrer Hand, wie das Kind werden soll.

Auch sollen Eltern nicht alles bloß dem Zufall überlassen. „Nicht zufällige, sondern gewollte Kinder werden die besten Eigenschaften der Eltern haben“. „Die Ehe“. Donauwörth, S. 128. Christliche Eheleute werden daher das schöne Wort des jungen Tobias nicht vergessen: „Wir sind Kinder der Heiligen und können nicht so zusammenkommen wie die Heiden, die Gott nicht kennen“. Tob 8, 5. Fromme, sittenreine Ehegatten finden in einer sittenreinen Nachkommenschaft reiche Freude und Belohnung.

Ganz besonders schwebt der tief frommen Mutter die hohe Würde und das große Glück, aber auch die schwere Verantwortung des Mutterberufes vor Augen. Was heißt Mutter werden? Mutter werden heißt, nicht mehr bloß an sich denken, sondern leben für das Kind, seine eigenen Interessen denen des Kindes hintansetzen, opfer freudig sein Leben für das des Kindes in die Schanze schlagen. Mutter werden heißt, geheimnisvoller weise mitarbeiten mit der göttlichen Allmacht und Weisheit an der Bildung eines neuen Menschenwesens, und das nicht in einem kurzen, rasch verfließenden Augenblick, sondern durch leises, langsames Heranreifen in stillem Wachstum. Es fordert deshalb die Hinwendung aller Lebensgedanken auf das geheimnisreiche, verborgene Weben und Werden, das verständnisvolle Eingehen auf Gottes Willen und Wirken in demütigem, opfermutigem Mitwirken. Mutter werden heißt: in Wahrheit sich heiligen für das Kind.

Die Mutter übernimmt einen großen, herrlichen Dienst für Familie und Gesellschaft. Ihrer hegenden Sorge wird das Kind an vertraut, ein Gegenstand, so kostbar und gestaltungsfähig, wie er keinem Künstler zu Gebot steht. Denn was bedeutet das Gold, das unter dem Hammer des Goldschmieds die mannigfachsten Formen annimmt, gegenüber der Eindrucksfähigkeit der Kindesseele? Was ist all die Farbenpracht, durch die der gottbegnadete Maler unser Auge entzückt, gegenüber der Schönheit des Kinderauges, in dem eine neue Welt entsteht? Was sind all die reichen Formen, die hervorgehen aus der Hand des Bildhauers, gegenüber der Lebensform, die im Kind Gestalt gewinnt? … Das Heranreifen des Kindes verlangt nicht weniger, sondern mehr Mühe und Anstrengung und hingebende, opfervolle Arbeit als das Entstehen eines Kunstwerkes. Von der stillen, unscheinbaren Unermüdlichkeit der Mutter hängt in der menschlichen Gesellschaft viel mehr ab als von dem Schaffen der größten Künstler. Ist doch die Wärme des Mutterherzens die glücklichste Voraussetzung für allen wahren Fortschritt im Menschheitsleben!“ Dr. Franz Keller, Im Geiste der hl. Elisabeth, S. 92 f.

Von der größten Wichtigkeit ist das Verhalten der Mutter während der Zeit, wo sie sich in gesegneten Umständen befindet. Und dies gilt sowohl in geistiger als auch leiblicher Hinsicht.
Zwei Herzen und ein Schlag. Das Kind ist in der wichtigsten Periode seiner Entwicklung nicht bloß in leiblicher Hinsicht ganz abhängig von den mütterlichen Einflüssen, sondern auch in Bezug auf Herz und Gemüt. Wie die Pulsschläge des Mutterherzens auf das Kind hinüberwirken, so ist dies auch mit den Gemütsbewegungen der Fall. Jeder Pulsschlag trägt etwas bei zur Entwicklung des zarten Körpers, und ähnlich wirken die Gemütsbewegungen auf das, was Herz, Gemüt, Temperament genannt wird. „Je gemütsruhiger die Mutter, desto gesunder das Kind“. Dr. Schönenberger. Je weniger im Mutterherzen Stürme der Aufregung und Leidenschaft losbrechen, je mehr die Sonne des Friedens und der Seelenruhe in ihr Gemüt leuchtet, je mehr die edlern Stimmungen der Sanftmut, der Liebe und Geduld in ihrem Innern vorherrschen, desto besser ist dies für den jungen Weltbürger, weil es beiträgt, seinen Gemütsanlagen eine harmonische Einheit zu geben, ihnen ein edleres Gepräge aufzudrücken. Bisch. Egger. Hält die Mutter Herz und Gedanken rein; beschäftigt sie ihren Geist in würdiger, angemessener Weise durch Arbeit, gute Lesung, vor allem auch durch Betrachtung religiöser Wahrheiten und Gebet; wacht sie über das Innerste ihres Herzens, dass es lauter und rechtschaffen sei; bestrebt sie sich der Selbstüberwindung, übt sie in Gedanken, Worten und Werken die Tugend der Keuschheit: so legt sie gleichzeitig im Kind den Grund zu dieser Tugend. Und das allein schon bedeutet sehr viel; es ist mehr, als später Erziehung und Selbstbeherrschung des Menschenkindes oft vermögen. Wenn die Mutter die Erkenntnis dieses ihres großen Einflusses erfasst hat, wird sie ganz gewiss als echte Mutter, als christliche Mutter redlich das Ihrige beitragen, ihrem zarten Kind das bestmögliche Erbteil an körperlicher und geistiger Kraft, an Fähigkeiten und Tugenden mit auf den Lebensweg zu geben. Dieses Opferleben der Liebe vor der Geburt des Kindes ist die erste Mutterpflicht, sie ist die notwendige Voraussetzung für die spätere erfolgreiche Erziehung. Vgl. Ernst, Elternpflicht, S. 49f.

„Opfere täglich hundertmal deine Leibesfrucht auf“, schreibt der hl. Franz von Sales an die hl. Franziska von Chantal, „wie der hl. Augustin bezeugt, dass seine Mutter es mit ihm getan hat, und in den Sorgen und Bedrängnissen, die du haben wirst, preise unsern Herrn für alles, was du duldest, um ihm einen Diener oder eine Dienerin zu geben, der mit seiner Gnade ewig mit dir ihn loben wird.“ Die Mutter des hl. Bernhard suchte, wenn sie einem freudigen Familienereignis entgegensah, häufiger als sonst dem Gottesdienst beizuwohnen und öfters die hl. Sakramente zu empfangen, damit der anbetungswürdige Leib des Herrn seine Segnungen über das Kind ausgieße. Gott belohnte ihre Frömmigkeit; alle ihre Kinder sind Heilige geworden.
Die Mutter muss auch für das leibliche Wohl des Kindes recht bedacht sein. Eine unüberlegte Kleinigkeit, eine Unvorsichtigkeit kann hinreichen, sie und das zu erwartende Kind in große Lebensgefahr zu bringen. Heftige körperliche Bewegungen, z. B. Tanzen, Springen, Hüpfen, Fahren in einem stoßenden Wagen, öfteres Bücken, ebenso überanstrengende Arbeiten, Heben schwerer Lasten, Verkältungen wirken schädlich und müssen gemieden werden. Die Mutter schaue auf ihr körperliches Wohlbefinden, vermeide große Ermüdungen, ruhe öfter aus, gebrauche eine einfache und kräftige Nahrung, enthalte sich von allen geistigen und aufregenden Getränken und trage eine angemessene, nicht beengende Kleidung.

Nach der Lehre der hl. Kirche darf im Notfall jedermann, der gerade zur Hand ist, das hl. Sakrament der Taufe spenden. Die Nottaufe geschieht in der Weise, dass man auf die Stirne oder den Kopf des Kindes nach Entfernung der Hauthülle Wasser ausgießt und unter einem die Worte spricht: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.“ Dem fügen wir noch einige Sätze über die Nottaufe (nach J. Neth) bei:

„Tauft… solche Kinder, von denen ihr fürchten müsst, dass sie sonst ohne die hl. Taufe hinwegsterben würden.“ „Zweifelt ihr, ob das Kind in Todesgefahr schwebe, so wählt das Sichere und erteilt die Taufe.“ „Müsst ihr taufen und ist kein geweihtes Wasser vorhanden, so nehmt ungeweihtes, gewöhnliches Wasser, wo ihr es herbekommt.“ „Kommt ein Kind ohne Lebenszeichen zur Welt, so glaubt nicht gleich, dass es tot sei, denn nirgends kommt der Scheintod häufiger vor als bei neugebornen Kindern.“ „Ihr dürft ein Kind für tot halten, wenn bereits Fäulnis oder Verwesung wahrnehmbar ist.“ „Habt ihr Ursache zu zweifeln, ob das Kind tot sei, so müsst ihr es ohne Verzug Bedingungsweise taufen.“ „Wenn ihr aber gewiss wisst, das Kind sei tot, so dürft ihr die Taufe um keinen Preis vornehmen, auch nicht Bedingungsweise.“

Quelle: „Die christliche Familie“ von P. Franz Tischler – 1920


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