Bei jungen Mädchen stellt sich in den Entwicklungsjahren oft das „Schwärmen“ ein. Es kann auch noch später auftreten, selbst dann, wenn man annehmen sollte, dass das vorgerückte Alter über solche Jugenderscheinungen erhaben sei.
Es ist wichtig, dass du dir ganz klar wirst über die Ursache und die Bedeutung dieser Erscheinung, damit sie dich nicht zu Torheiten verleite, sondern deiner Charakterbildung diene.
Etwa bis zum dreizehnten Jahre ist das Mädchen Kind. Nun beginnen die Entwicklungsjahre. Es soll zur Jungfrau heran blühen, körperlich und geistig. Mit diesem Wachstum ist auch die Entwicklung des Geschlechtstriebes verbunden. Ein normales, nicht verführtes Kind, kann noch gar nicht sexuell denken und empfinden. Das wird nun anders. Wie der ganze Mensch während der Entwicklungsjahre langsam heranreift, während dieser Zeit also noch unfertig ist, so ist es auch mit dem Geschlechtstrieb. Diese Reifezeit bringt eine außerordentlich lebhafte Erregbarkeit mit sich. Die Jugend bewegt sich stets in Extremen, in Gegensätzen. Es fehlt eben noch das Reife, Abgeklärte, Ausgeglichene. Anders ist es auch nicht zu erwarten. Im Frühjahr erntet man noch keine Früchte.
Bedenklich wäre es aber, wenn die Jugend allen Einfällen nachjagen und sich hemmungslos jeder Stimmung hingeben würde. Der Geist muss auch hier die Zügel in die Hand bekommen. Leichtsinn, Gedankenlosigkeit, Oberflächlichkeit müssen bekämpft werden. Vor allem fehlt der Jugend noch die Lebensweisheit, die Erfahrung, die sie sich aber allmählich aneignen muss, damit sie die Tragweite und Folgenschwere mancher Handlungen, die ihr ganz unbedenklich scheinen, durchschaut, und sie sich so vor „Jugendstreichen“ in Acht nimmt, die vielleicht ihr ganzes Lebensglück vernichten könnten.
Seiner Eigenart entsprechend entwickelt sich im heranwachsenden Mädchen nun vor allem der Seelentrieb. Er tritt nicht sofort so auf, wie er in der vollentwickelten Jungfrau sich zeigt. Er ist zunächst noch unbestimmt. Es stellen sich unklare Empfindungen ein, ein unbestimmtes Sehnen durchzieht das ganze Wesen, ohne dass sich das Mädchen klar ist über das Ziel dieser Sehnsucht. Gleichzeitig macht sich das Verlangen bemerkbar, sich an jemanden anzulehnen, bei ihm Halt und Ergänzung des eignen Wesens zu finden.
Nun beginnt gleichsam das Suchen nach dem Gegenstand dieser Sehnsucht. Der noch unfertige, unreife Junge kann ihr noch nichts bieten. Voller Verachtung schaut sie auf den wilden „Bengel“. Bei ihren Gefährtinnen findet sie am ehesten Verständnis für ihre Interessen, und so beginnen denn oft Freundschaften unter den jungen Mädchen, die an Innigkeit und Zärtlichkeit kaum einer Steigerung fähig sind. Am Anfang oder Schluss der Ferien, beim Abschiednehmen oder Wiedersehen auf den Bahnhöfen in der Nähe von Erziehungsanstalten kann man dies regelmäßig beobachten. Dann ist es auf einmal eine Lehrerin, für die man schwärmt. Man ist für sie Feuer und Flamme. In anderen Fällen wird ein Lehrer angeschwärmt und grenzenlos verehrt. Man könnte Bücher schreiben darüber, wie sich diese Begeisterung kundgibt, und noch viel mehr tritt nach außen nicht hervor. Es ist ein regelrechtes Verliebtsein, nur mit dem einen Unterschied, dass gleichzeitig mehrere oder sogar ganze Klassen für dieselbe Person schwärmen können.
Meistens erst in reiferen Jahren richtet sich das Schwärmen auf den Mann. Bald sind es körperliche Vorzüge, bald geistige Eigenschaften, an denen sich die weibliche Schwärmerei entzündet: die stramme Haltung, die Uniform, schwarz gelocktes Haar oder sonst irgend etwas „Besonderes“ an der Persönlichkeit kann diese Wirkung schon haben. Vor allem sind es äußere Erfolge, die auf das Mädchen gewaltigen Eindruck machen: Berühmte Schauspieler, Sänger, Dichter, Gelehrte, Sportgrößen sind daher oft von einem ganzen Schwarm umgeben. Selbst wenn die „Berühmtheit“ sehr zweifelhafter Natur ist, finden sich „Verehrerinnen“ ein.
Wie schon angedeutet, sind alle diese Erscheinungen nichts anderes als Ausstrahlungen des Seelentriebes, der nach dem entsprechenden Gegenstande sucht. Dazu kommt noch die in der weiblichen Eigenart begründete geistige Veranlagung, dass sie zu wenig die Eigenschaften von den Personen trennen kann. Die Idee, das Abstrakte macht auf sie keinen oder wenig Eindruck. Sie möchte alle Ideale verkörpert vor sich sehen. Sobald sie dann irgend jemanden gewahrt, der diese Eigenschaften besitzt, die ihr besonders wertvoll erscheinen, überträgt sie die ganze Begeisterung für das Ideal auf die Person. Infolge der leichten geistigen Erregbarkeit, die ja auch dem weiblichen Wesen eigen ist, macht alles Gefühlsbetonte einen großen Eindruck, und so braucht es nur wenig, und die Flammen schlagen lichterloh empor. Sie finden dann keine Worte mehr, um das, was sie empfinden, auszudrücken, denn „hinreißend“, „entzückende, himmlische, „unendlich“ sind viel zu schwach.
Man braucht dies „Schwärmen“ bei jungen Mädchen nicht tragisch zu nehmen. Es sind mehr Begleiterscheinungen der Entwicklungsjahre. Daher gilt auch hier das S. 31 Gesagte nicht. Es handelt sich ja nicht um den ernstlichen Wunsch, eine Person in unerlaubter Weise zu besitzen. — Es wäre aber doch bedenklich, wenn du dich solchen Anwandlungen, die an und für sich ganz natürlich sind, blindlings hingeben würdest.
Jeder junge Mensch muss lernen, sich nicht von Gefühlen, sondern vom Gewissen, von der Vernunft leiten zu lassen. Das ist für junge Mädchen deshalb besonders wichtig, weil bei ihnen sowieso das Gefühlsleben überwiegt. Das Leben braucht Charaktere, die unbekümmert um Stimmungen und Gefühle in treuer Pflichterfüllung ihr Lebensziel verfolgen, und nicht Schmetterlinge, die in unberechenbaren Bahnen ohne jede Überlegung und ohne ein Ziel herum gaukeln. Wer nur aus „Schwärmerei“ für eine Lehrperson fleißig und folgsam ist, wird es nicht mehr sein, wenn diese Schwingen fehlen. Du musst dich unabhängig machen von solchen Zufälligkeiten.
Noch wichtiger ist es, dass du dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lässt. Manche glauben, in irgendeiner Person ein Ideal verkörpert zu sehen, und übersehen in ihrer schwärmerischen Begeisterung alle Unvollkommenheiten und Mängel und Fehler. Nur zu leicht kommt dann hinterher eine grenzenlose Enttäuschung. Wie manchem Mädchen, das sich in einen jungen Mann „unsterblich verliebt“ hatte, sind nach der Hochzeit die Augen furchtbar aufgegangen. Für jeden Menschen ist es aber ein schwerer Schlag, wenn er sich um seine Ideale betrogen sieht. Es verrät auch ein gut Stück Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit, wenn man sich von dem Vorzug, dazu meistens einer Äußerlichkeit, eines andern so blenden lässt, dass man ihn gleichsam „vergöttert“ und ihn keiner Unvollkommenheit, keines Fehlers fähig hält. Du musst lernen, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht, wie schwärmerische Verliebtheit es ausmalt.
Vor allem aber musst du lernen, dich von den Vorzügen des männlichen Wesens nicht ohne weiteres gefangen nehmen zu lassen. Sonst erliegst du nur zu leicht immer wieder dem Einfluss von Männern, die dir imponieren. Du wirst, wie jedes andere Mädchen, im Leben häufig mit Männern jeden Alters zusammentreffen, deren Wesen und Auftreten dir sofort zusagt, sodass du für sie eingenommen bist und fühlst, wie dein Herz auch ihnen zuneigt. Es könnte die verhängnisvollsten Folgen haben, wenn du dies auch nur merken ließest. Deshalb musst du die Herrschaft über dein Herz erringen, die Zügel, mit denen du deine Gefühle lenkst, fest in der Hand halten. Und dafür bietet sich in der Jugend reiche Gelegenheit, indem du dich um Gefühlswallungen nicht bekümmerst, das zappelnde Herz zur Ruhe bringst und deine Gunst, deine Liebe, deine Bewunderung nicht an jeden ersten besten, der dir in den Weg tritt, vergeudest.
Ein Mädchen macht sich durch dieses „Schwärmen“ nur lächerlich und beweist, dass man es noch nicht ernst nehmen darf, da es noch nicht gelernt hat, seine Gefühle zu beherrschen und sich von der Vernunft leiten zu lassen. Sei zu stolz, dich wie eine Sklavin von den Gefühlen gefangennehmen zu lassen. Gegen das „Rotwerden“, „Befangen sein“ musst du angehen. Du musst dich innerlich selbst behaupten, frei und sicher werden und dich der Bande erwehren, mit denen man dein Herz zu fesseln sucht, bis du es einst, wenn es so Gottes Wille ist, in freier Wahl einem Manne schenkst, dem du fürs Leben angehören willst.
Quelle: „Du und Er“ – Hardy Schilgen S.J. – 1940
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